Grenzgaenger
grau im Gesicht und starrte ihn blicklos an.
«Frau Schmitz?»
«Ja», antwortete sie, aber er hatte nicht den Eindruck, dass sie ihn wahrnahm.
Sie war ungefähr vierzig Jahre alt, extrem dünn, hatte stoppelig kurzes, hennarotes Haar mit einer einzelnen langen Strähne im Nacken. Sie trug hautenge, schwarze Röhrenhosen, die knapp bis zur Wadenmitte reichten und ihre Knie rachitisch wirken ließen. Dazu eine kurze, schwarze Samtjacke über einem verwaschenen T-Shirt.
Toppe bekam einen Schlag in den Rücken und stolperte auf die Frau zu. Ackermann hatte die Tür aufgestoßen.
«Kann ich wat helfen?», fragte er beflissen.
«Ja», antwortete Toppe, «rufen Sie einen Krankenwagen. Die Frau hat einen Schock.»
«Klar, mach ich, klar.» Ackermann flitzte hinaus.
«Kommen Sie, Frau Schmitz.» Toppe fasste sie fest am Arm.
«Ja.» Sie bewegte sich mechanisch.
Er führte sie zum Einsatzwagen und ließ sie auf dem Beifahrersitz Platz nehmen.
«Herr Flintrop wird sich um Sie kümmern, bis der Arzt da ist.»
«Ja.»
Flintrop lehnte noch immer am Kotflügel und rauchte.
Toppe kehrte ins Haus zurück.
«Gibt’s hier ein Telefon?», fragte er Schultz.
Der zeigte auf einen Wandapparat in der Küche. Toppe nahm den Hörer vorsichtig mit seinem Taschentuch und wählte Arend Bonhoeffers Privatnummer.
«Sofia? Hier ist Helmut. Ist Arend da? Gib ihn mir mal.»
Er wartete.
«Helmut? Schön, dass du anrufst.»
«Leider nur dienstlich. Ich habe hier einen Toten in Kleve. Könntest du jetzt gleich kommen und ihn dir ansehen?»
«Du meine Güte! Jetzt soll ich kommen? Mensch, ich habe gerade eine wunderbare Flasche Burgunder getrunken.»
«Ich kann dir einen Wagen schicken.»
Bonhoeffer seufzte tief. «Ist gut. Schick einen. Bis gleich.»
«Einen Wagen?», fragte Schultz, der die ganze Zeit in der Küchentür gestanden hatte.
«Ja, einen Wagen nach Warbeyen, Dr. Bonhoeffer.»
«Okay.»
Ackermann kam zurück. «Krankenwagen ist unterwegs.»
Gleich hinter ihm tauchte mit hochrotem Gesicht Berns auf. Er würdigte Toppe keines Blickes, sondern stürmte gleich durch zum Nebenzimmer.
Toppe zündete sich eine Zigarette an.
«Haben Sie keine Augen im Kopf?» Berns war zurückgekehrt und fasste ihn an der Schulter. «Das hier ist doch wohl eindeutig was für Stachorski aus dem 2. K., Rauschisch und Sitte.»
Toppe sah ihn nur stumm an, und so schlurfte er schließlich ins Zimmer zurück und öffnete seine Tasche.
Ackermann hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schnupperte an den Weinflaschen.
Schultz kam in die Küche zurück. «Wagen ist unterwegs.»
«Gut», erwiderte Toppe und trat in den Durchgang. «Herr Berns, ich möchte hier alles supergenau haben, jedes Glas, jeden Teller, eben alles.»
Berns drehte sich nicht zu ihm um, aber man konnte sehen, wie sich seine Schultern strafften. «Na, dann sehen Sie mal zu, dass ich hier ein bisschen Hilfe kriege, Herr Toppe.»
Toppe wandte sich wieder um zu Schultz.
«Wer wohnt sonst noch im Haus?»
«Keiner. Die obere Wohnung ist leer.»
«Ist der Mann bei euch bekannt? Drogenszene vielleicht?»
«Nein, mit dem hatte ich bis jetzt noch nichts zu tun. Aber ein paar von seinen Nachbarn hier kennen wir recht gut.»
Arend Bonhoeffer kam um zwanzig nach zehn. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn beim Weintrinken störte, und seine Laune war entsprechend gedämpft.
Toppe hatte sich inzwischen umgesehen.
Der Tote war Bassist gewesen. Es gab einen Kontrabass und einen E-Bass, beides sorgsam gepflegt und poliert, und stapelweise Noten, Programmhefte, Plakate, Zeitungsausschnitte, die bewiesen, dass er zumindest zeitweise in nicht ganz unbekannten Jazzformationen mitgespielt hatte.
Ein paar Briefe und Fotos gab es, alles wenig aufschlussreich. Die gesamte Bibliothek bestand aus zwei verschiedenen ‹Real Books› sowie Jazz-Noten, einigen sozialpädagogischen und psychologischen Fachbüchern, Patrick Süskinds ‹Parfum› und einer Anzahl amerikanischer Kriminalromane, wobei Mickey Spillane über Gebühr vertreten war.
«Viel kann ich dir noch nicht sagen, Helmut.» Bonhoeffer streifte die Latexhandschuhe ab. «Die ungefähre Todeszeit dürfte zwischen 15 und 20 Uhr liegen.»
«Und die Todesursache?», fragte Toppe.
«Da möchte ich mich noch nicht festlegen.»
«Keine Überdosis?»
«Ich bin nicht sicher. Da passt so einiges nicht zusammen. Ich möchte eigentlich am liebsten sofort eine Obduktion machen. Könnte sein, dass es eilt. Kannst du den
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