Grenzgaenger
trug Sachen hinaus, schüttelte Kissen auf.
«Willst du ein Bier?»
Er öffnete die Augen. «Lieber ’n Schnaps.»
Sie nickte und verschwand in der Küche.
Er setzte sich langsam auf und rieb sich den Nacken.
«Morgen ist die Vernissage», sagte sie leichthin, als sie mit zwei gut gefüllten Cognac-Gläsern zurückkam.
«Morgen schon?»
«Ja, und wir werden hingehen. Du hast’s versprochen.» Ihre Stimme war nur ein klein wenig höher als sonst, aber er bemerkte es doch.
«Ach komm, du weißt doch, dass es nicht geht.»
«Warum nicht?»
«Das kann ich einfach nicht machen. Nicht zum jetzigen Zeitpunkt.»
Sie behielt ihre Fassung, obwohl er deutlich spürte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Vermutlich hatte sie sich ihre Sätze vorher überlegt.
«Warum nicht?», fragte sie wieder. «Gibt es irgendwas von höchster Dringlichkeit, das ausgerechnet du morgen früh zwischen zehn und halb eins erledigen musst?»
«Nein, aber ich kann trotzdem nicht einfach meinem Vergnügen nachgehen.»
Jetzt blitzte es in ihren Augen, die Tränen waren aus ihrer Stimme verschwunden.
«Fängst du jetzt auch schon an, dich für unentbehrlich zu halten! Meinst du, die anderen kämen nicht auch mal zweieinhalb Stunden ohne dich klar? Dass du mit deinem Fuß überhaupt arbeitest! Vergnügen! Wenn’s nur das wäre!»
Sie hat recht, dachte er traurig.
«Ach komm», sagte er unbeholfen, «du weißt doch.»
«O ja, sicher weiß ich. Weiß ich schon lange und mach ich ja auch immer mit. Aber irgendwann reicht’s einfach. Und jetzt reicht’s. Du kriegst ja gar nichts mehr mit.» Sie stellte mit einem Knall das Glas auf den Tisch.
Er stützte den Kopf in die Hände. Stimmt, dachte er, ich kriege nichts mehr mit. Ich weiß nichts. Ich kümmere mich um nichts, nicht mal um das, was unmittelbar um mich herum vorgeht. Dabei ist das hier doch mein Leben, oder? Ich bin doch ein Teil davon. Aber eigentlich könnte ich genauso gut einfach nicht da sein, es fiele kaum auf.
«Zuschauer», murmelte er bitter.
«Was?»
«Zuschauer meines eigenen Lebens.» Er holte tief Luft – ein bisschen viel Pathos und der falsche Moment für Selbstmitleid sowieso. «Na gut, ich gehe mit.»
«Ach, Scheiße», sagte sie und kam um den Tisch herum. Sie legte beide Arme um seinen Hals und lehnte ihre Stirn gegen seine Wange. «Ist schon gut, ich geh allein. Tut mir leid, das hier.»
«Quatsch. Ich meine es ernst, ich komme mit.»
«Nein, das will ich nicht. Du musst es nicht wegen mir.»
«Sollen wir uns jetzt darüber streiten?», lächelte er.
«Nein, ich will mich überhaupt nicht mit dir streiten.» Sie hatte eine Kleinmädchenstimme.
«Wollen wir uns ein bisschen wärmen?», fragte er leise.
Gabi hatte sich schöngemacht. Sie trug irgendetwas Gemustertes, Weites, Dünnes, das er noch nie an ihr gesehen hatte, was ihm aber gefiel, und er kam sich neben ihr in seiner hellen Hose und dem einen seiner beiden Jacketts ziemlich langweilig vor.
Er zündete eine Zigarette an, kaum dass er im Auto saß, es war sicher schon die fünfte heute Morgen.
«Ich muss mich irgendwie wachhalten», entschuldigte er sich, obwohl sie ihm keinen Vorwurf gemacht hatte. «Ich hab nicht viel geschlafen letzte Nacht.»
«Der Fuß?»
«Der auch.»
Sie parkte den Wagen im Parkverbot, halb auf dem Bürgersteig gleich vor dem Eingang zur Galerie, und schenkte ihm einen trotzigen Blick, aber ihm war’s nur recht. Er hatte keine Lust, mit seinen Krücken durch die halbe Stadt zu hinken.
Schöning-Dudel, der Galerist, stand gleich an der Tür und begrüßte jeden Gast persönlich. Er war groß und breit, hatte langes, graues Haar und einen ebenso grauen gestutzten Vollbart. Sein Gesicht war dunkel und von zahllosen Falten durchzogen. Seine Augen, von einem sehr hellen Blau, blickten immer ein wenig fragend. Toppe hatte ihn ein-, zweimal vorher getroffen, und als er ihn jetzt begrüßte, fiel ihm wieder die hohe, kippelige Stimme auf, die so gar nicht zum Äußeren des Mannes passte. Schöning-Dudel war schwul, jeder in dieser Stadt wusste es, und Toppe hatte sich oft über die Art und Weise, in der man nicht darüber sprach, aufgeregt.
Sofia stand weit hinten in dem quadratischen Raum und redete mit ein paar Leuten. Als sie Gabi und Toppe entdeckte, kam sie schnell herüber.
«Schön, dass ihr’s geschafft habt. Kommt mit nach hinten, es geht gleich los.»
Rechts vom Eingang sah Toppe Botho van Beveren, den Leiter des örtlichen Museums, neben dem
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