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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Behrmann
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Zaubertricks. Die Blutsache schob ich gedanklich erst einmal in den hintersten Winkel meines Bewusstseins und sah auf meine Hände.
    Eben im Büro hatte Kay mich geleitet. Ich hatte ihn nur allzu deutlich in meinem Kopf gespürt – wie einen fremden Gedanken, den man nicht eingeladen hat. Er wusste, welche Schalter er in meinem Kopf umlegen musste, damit ich den Weg in seinen Garten fand. Ohne seine Führung wären wir vielleicht sonst wo gelandet, aber die Kraft, die uns dorthin gebracht hatte war eindeutig meine gewesen.
    Meine Knie wurden weich, während ich weiterging. Ich fühlte mich schwach, seit dem frühen Nachmittag lief ich auf niedriger Batterie und selbst die war jetzt aufgebraucht. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal etwas gegessen?
    Der Gedanke war gut. Er war normal. Also konzentrierte ich mich darauf, etwas Essbares aufzutreiben. Ich würde wie ein ganz normaler Mensch, der sein ganzes Leben nicht den blassesten Schimmer von Fey, Grenzgängern, Engeln und dem ganzen restlichen Haufen hatte, etwas essen gehen.
    Meine Schritte wurden zielstrebiger, als ich in Richtung des erleuchteten Hafenviertels ging. Anfangs passierte ich nur Lagerhäuser, aber bald kamen die ersten Kneipen und Dönerläden in Sicht. Der Anblick ließ mich beruhigt ausatmen.
    Ich steuerte die erste, nach ranzigem Fett riechende Bude an und stellte mich an den Tresen. Sie wirkte, trotz des Geruchs, nicht ganz so schmierig wie die anderen. Das Neonlicht ließ alles furchtbar grell wirken. Vor mir standen noch zwei Kunden. Ein Gruftie in schwarzen Klamotten und ein Halbstarker, der mit dem Döner sicherlich eine Grundlage für die Nacht schaffen wollte.
    Ich schielte auf meine Armbanduhr. Grundlage war vielleicht falsch, eher frühes Frühstück. Meine Uhr zeigte kurz vor vier Uhr morgens an.
    Ich sah zum Schaufenster, während ich wartete. Als ich das Gesicht darin sah, wandte ich den Blick schnell wieder ab. Irgendetwas war mit meinen Haaren passiert! In meiner Wohnung hatte ich noch nicht so ausgesehen.
    Meine Finger fuhren in die prachtvolle, rote Fülle, die nun, anstatt ewig widerspenstige Strähnen aufzuweisen, über meine Schultern floss. Sie war weich. In den langen, leicht gewellten Strähnen fing sich jeder einzelne Lichtstrahl und selbst das blasse Neonlicht wurde in reines Funkeln verwandelt.
    Der Gruftie vor mir nahm gerade seinen Döner und der Verkäufer wandte sich dem Jungen zu.
    Ich drehte mich um und floh aus dem Imbiss.
    Draußen stapfte ich weiter. Einfach nur weg, das war das einzige Ziel, an das ich denken konnte. Ohne mein Zutun stellte der neugierige Teil in mir die Frage, zu welcher Seite diese haarmodelwürdige Pracht gehörte, aber ich wollte nicht darüber nachdenken. Mich interessierte viel mehr, wie ich sie wieder loswurde. Das war nicht meine Welt. Egal, was Samhiel sich da vorgestellt hatte und egal, warum er es mit mir angestellt hatte, ich wollte es nicht. Ich wollte alles nur los sein und so schnell wie möglich zu irgendeinem langweiligen Job in die normale Welt zurückkehren.
    Ich bemerkte, wie es warm auf meiner Wange wurde und wischte die Tränen weg. Schlussendlich blieb ich stehen. Ich spürte weder Erschöpfung, noch Müdigkeit. Nur diese bleierne Lähmung, die mich daran hinderte, weiter zu denken. Schuld daran war die Erkenntnis, dass da etwas mit mir passierte, das ich nicht verstand. Und dass mich genau das wahnsinnig machte.
    Ich blieb stehen und sah zurück. So kam ich nicht weiter. Ich konnte die gesamte Stadt durchstreifen, aber besser würde ich mich dadurch auch nicht fühlen. Alles, was dabei herauskam, war, dass mir immer kälter wurde.
    Ich drehte mich um und ging langsam zurück. Kurz vor dem Hafengebiet kam mir der Halbstarke aus der Dönerbude entgegen.
    Er hatte die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf gezogen und trug darunter eine Käppi. Er kam näher und ich konnte etwas an ihm riechen. Etwas, das mich abstieß.
    Ich blieb stehen, als er vor mir hielt und keine Anstalten machte, sich wegzubewegen. Hörbar zog er die Nase hoch. »Hast du mal fünf Euro?«
    Ich schüttelte den Kopf und wollte weitergehen, aber er hielt mich fest. »Komm, ich hab dich in der Dönerbude gesehen. Du musst fünf Euro haben.«
    »Hab ich aber nicht.«
    »Lüg nicht!«
    Sein Griff um meinen Arm wurde schmerzhaft. Mein Körper reagierte schneller, als es meine Gedanken konnten – im nächsten Moment hatte ich den Jungen am Hals gepackt und presste ihn gegen die Wand des nächsten

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