Grenzgang
Tisch daneben trägt ein Mann mit fliehendem Haaransatz sein Hawaiihemd offen, hält die Hand einer fülligen Frau im kurzen seidenen Morgenmantel, küsst ihre Fingerkuppen und flüstert zwischendurch Dinge, die seiner Partnerin ein kehliges, an Anita erinnerndes Lachen entlocken.
Viktorias Adlernase sieht sie nicht, vermutet sie aber in dem nicht einsehbaren Bereich hinter den Yucca-Palmen.
»So, drei Mal süß und spritzig für die Damen.« Gerd stellt die Gläser auf die Theke und nimmt wieder seine Stellung von vorher ein: breitarmig, eine Hand auf den Bierhahn, die andere auf die Ablage neben der Spüle gestützt. Eine Goldkette um seinen Hals reicht bis in das dichte Schwarz der Brustbehaarung. Der Kir Royal schmeckt so, wie er gesagt hat: süß und spritzig, nach Johannisbeere und etwas zu warmem Champagner. Sie hätte gerne was Stärkeres gehabt. Mit ein bisschen mehr Alkohol würde es ihr vielleicht gelingen, sich wohl zu fühlen an diesem merkwürdigen Ort, jedenfalls solange die solide Holzkonstruktion der Theke ihr das Gefühl gibt, jederzeit in Deckung gehen zu können.
»Ihr zwei kennt euch schon richtig lange, oder? Merkt man sofort.« Gabi steht zwischen Karins und Kerstins Barhocker und hält ihr Glas in beiden Händen.
»Wir sind Nachbarn«, sagt Karin.
»Schon seit einigen Jahren.«
Nach Freundschaft fürs Leben klingt das nicht, aber Gabi nickt und nimmt es als Bestätigung.
»Wir müssen ja immer drauf achten, dass derHerrenüberschuss nicht zu groß wird. Bei den Mitgliedern haben wir schon einen Aufnahmestopp für Single-Männer verhängt, sonst bleiben uns mittwochs die Stammgäste weg.«
»Was passiert denn mittwochs hier?«, fragt Karin.
»Ich sag immer: Das was bei Arte Themenabend heißt: Tausend und eine Nacht hatten wir letzte Woche, und nächstes Mal … Gerd?«
»Wilder Westen.«
»SM hatten wir auch schon, aber nur auf Wunsch. Ist den meisten zu …«
»Wild«, sagt Gerd.
»Sind unsre Räume auch nicht geeignet für.«
Kerstin lehnt sich zurück gegen die roh verputzte Wand, lauscht mit einem Ohr der Unterhaltung und hätte es vorgezogen, alleine im Club zu sein. Ohne Karin Preiss. Auf der Rückfahrt werden sie ihre Eindrücke austauschen und an einer gemeinsamen Version des Erlebten basteln, werden sagen: Was für ein Bär von einem Mann, oder: Würdest du so eine Korsage tragen?, oder: Ich will ja nichts sagen, aber ein Kind hat sie bestimmt, ihrer Figur nach zu urteilen. Ein Geflecht aus Sätzen, das sie sich gegenseitig bestätigen, um dann unausgesprochen selbst einen Platz angewiesen zu bekommen in der Version der jeweils anderen. Wenn sie einander künftig begegnen, werden sie beide nicht wissen, ob dieses Lächeln gerade nur ein Lächeln oder ein versteckter Hinweis war. Und wer weiß, vielleicht wird ein solches Geheimnis irgendwann zu schwer, um es zu zweit zu tragen.
»… so eine Liebesschaukel haben wir gekauft, aber noch nicht installiert«, erzählt Gabi. »Wer weiß, ob der Putz an der Decke die Dübel hält. Und stell dir vor, das Ding kracht runter, wenn gerade jemand … Dann können wir den Laden dichtmachen.«
»Und das Gestell nimmt zu viel Platz weg.« Gerd Müller hat alle Möglichkeiten bedacht, aber es bleibt schwierig. »Wenn ich wüsste, dass die Decke ansonsten hält, würd ich einfach dieunteren Platten rausnehmen. Da müssen ja noch Balken sein, und an die kannste’n Ochsen hängen.«
»Aber doch nicht in der Liebesschaukel.« Karin Preiss hält sich kichernd die Hand vor den Mund. »Das wär ja …«
»Wild«, sagt Kerstin, und alle lachen.
»Zumindest bei den Mitgliedern achten wir ja drauf, also: dass das ästhetisch einigermaßen hinkommt.« Gabi ist wieder ganz Geschäftsfrau und stellt ihr leeres Glas auf die Theke. »Aber Laufkundschaft? Ich kann doch am Telefon nicht sagen: Faxen Se erst mal’n Foto rüber. Aber bis jetzt hatten wir immer Glück, oder?«
»Ochsen waren noch keine da«, bestätigt ihr Mann.
»Toi, toi, toi, auf Holz geklopft. Sollen wir dann die Führung mal fortsetzen?«
Kerstin hat das Gefühl, dass Karin es vermeidet sie anzusehen, als sie mit einem wortlosen Nicken von ihrem Barhocker rutscht. Sie selbst schüttelt den Kopf.
»Ich bleib ein bisschen hier sitzen.« Da ist eine sehr klare Idee in ihrem Kopf, ihren Aufenthalt im Club auf diejenigen Bereiche zu beschränken, die sie bereits kennt oder von ihrem Platz an der Bar aus einsehen kann. Der Rest mag unsichtbar anwesend sein, als Möglichkeit, die
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