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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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sie nicht zu ergreifen gedenkt. Der Rest ist zu viel. Sie winkt den beiden, als wäre es ein Abschied für länger, aber Karin sieht sie immer noch nicht an.
    Zum ersten Mal registriert sie die Gäste auf der anderen Seite der Theke: Zwei Männer und eine Frau, die mit dem Rücken gegen die Theke lehnt, so dass Kerstin nur nackte Schultern sieht, die kein Alter verraten, und einen Kurzhaarschnitt, für den das Gleiche gilt. Die Männer stehen rechts und links, mit jeweils einer Hand auf der Theke, in der Nähe ihrer Biergläser. Ein teigiges, eher profilloses Gesicht hat der eine, und was unter seinem schwarzen Netz-Shirt an Figur zu erkennen ist, deutet ebenfalls auf etwas schwammig Bleiches, ebenso Alterswie Formloses. Ein Reptil mit kurzen Haaren, das Kerstins Abneigung erregt und ihren Blick sofort weiterwandern lässt,als sein Kopf sich in ihre Richtung wendet. Am liebsten hätte sie Gerd gebeten, wieder seine alte Schutzschirm-Position einzunehmen. Der andere sieht nur unscheinbar aus, weder einnehmend noch abstoßend, mit Schnurrbart und Koteletten, und das Wässrige seiner Augen lässt an einen Fehlsichtigen denken, der seine Brille verloren hat. Mit einer übertriebenen Geste, die wohl Hingerissenheit bedeuten soll, beugt er sich nach vorne und küsst die Schulter der Frau in der Mitte, und kaum ist er damit fertig, tut es ihm sein Gegenüber auf der anderen Seite gleich.
    »Noch einen?« Erst Gerds Bewegung mit dem Kinn macht sie darauf aufmerksam, dass sie bereits ausgetrunken hat.
    »Vielleicht was anderes?«
    »Ich kann nicht viel, aber ich geb mir Mühe«, sagt er mit einer Geste in Richtung der Phalanx von Flaschen. »Pina Colada, Weißer Russe, Long-Island-Eistee. Oder die reine Lehre: Whisky, Wodka auf Eis. Weißwein, Rotwein, Bier. Ich hab auch’n Shaker irgendwo …« Mit beiden Händen auf der Theke beugt er sich hinab und begibt sich auf die Suche.
    »Du willst doch nicht anfangen, mit deinen Gästen zu schäkern.« Das Reptil nutzt die erste Gelegenheit, um mit ihr Kontakt aufzunehmen. Eine Hand bleibt auf dem Körper der Frau, in Brusthöhe, und mit Blicken versucht er, Kerstin zu einer Reaktion zu animieren. Etwas Kaltes liegt in seiner Stimme. Kerstin konzentriert sich auf die Maserung der Theke und ist Gerd dankbar, als er sich wieder zu voller Größe aufrichtet und sie von der anderen Seite der Bar abschneidet. Mit fragender Geste hält er einen silbernen Mixbecher in der Hand.
    »Wodka auf Eis klingt gut«, sagt sie. Mit dem lauernden Reptil auf der anderen Seite wird Gerd noch mehr zu einem gutmütigen Bären, von dessen Kraft eine beruhigende Wirkung ausgeht. Sie hat nichts dagegen, dass er zwei Gläser auf die Theke stellt und mit Eis zu füllen beginnt.
    »Klingt nicht nur gut, schmeckt auch.«
    »Wie lange betreibt ihr den Club schon, Gabi und du?«
    »Drei Jahre. Das war eine ausgesprochene Schnapsidee. Ein Silvestergedanke, hier an diesem Ort geboren, der damals unser Partykeller war. Hätte nicht gedacht, dass man damit Geld verdienen kann.«
    »Kann man aber, oder?«
    »So viel auch wieder nicht.« Er scheint keine Lust zu haben, sich weiter darüber auszulassen. Ein Glas stellt er vor sie hin, das andere hält er ihr entgegen. »Prost.«
    »Prost.« Ihren Blick erwidert er nicht. Sie beginnt zu argwöhnen, dass Gerd die hinteren Clubräume allenfalls vormittags und mit Staubsauger und Putzeimer betritt. Besagte Schnapsidee dürfte eher Eierlikör und dem Kopf von Gerds Frau entsprungen sein. Kerstin trinkt, und der Wodka fährt ihr scharf in die Kehle. Gabi und Karin sind schon vor einigen Minuten verschwunden. Ist ihre Nachbarin gerade dabei, genau die Linie zu überschreiten, die ihren gemeinsamen Ausflug vom Beginn einer Bergenstädter Dorftragödie trennt?
    Wenn es rauskommt, denkt sie, sind wir geliefert. Die Vorstellung, zum Bergenstädter Ortsgespräch zu werden, hat ihr schon die ganze Woche Schauer über den Rücken gejagt. Sie malt sich die Blicke von Frau Meinrich aus, das Getuschel bei König’s, die plötzliche Stille beim Betreten der Metzgerei. Ihre Hand schließt sich fest um das Glas, und sie sieht Gerd Müller zu, wie er sich den nächsten Wodka auf das noch kaum angetaute Eis gießt. Eine Bemerkung über Karin und Gabi verkneift sie sich. Sie will nicht, dass sich zwischen ihr und Gerd die traurige Verbundenheit von Zurückgelassenen einstellt.
    »Für mich noch’n Bier«, heißt es krokodilsmäßig kalt von der anderen Seite der Theke.
    »Joh.«
    »Und

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