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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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für unser Goldstück hier noch mal das Gleiche.«
    »Auch das.« Gerds Augenrollen verrät einen Mangel an Sympathie gegenüber den Gästen in seinem Rücken.
    Das jüngere Pärchen erhebt sich von seinen Plätzen und schlendert Hand in Hand in Richtung des Durchgangs, in demvorher Karin und Gabi verschwunden sind. Die Frau sieht auf ihre Füße beim Gehen, und beide wirken eher ernst als vorfreudig. Aus der Reptilienecke folgen ihnen Blicke und lüsternes Zungenschnalzen.
    Gerd konzentriert sich auf das Zapfen des Bieres, als wäre das ein Job für Ingenieure.
    Kerstin hat das Gefühl, dass der Wodka sie nicht wärmt, sondern ihr kalt im Magen liegt und ihre Gesichtszüge gefrieren lässt. Ringsumher geraten die Dinge in Bewegung, und sie fühlt sich auf ihrem Platz wie auf einem Pfahl im Wasser, wenn die Flut zu steigen beginnt. Lange wird sie nicht mehr unbehelligt so sitzen können. Die Diskretion des Ortes ist trügerisch, bildet nur eine notdürftige Tarnung über dem Gewucher aus Blicken und Signalen, einem schlingpflanzenartigen Gewirr angedeuteter Kommunikation. Auch der Frührentner in seinem Hawaiihemd wirft einen Blick in ihre Richtung, während er sich erneut über die Hand seines dauergewellten Täubchens beugt, und die Frau gegenüber nutzt die Entgegennahme ihres Getränks, um sich herumzudrehen und Kerstin mit einer Miene anzusehen, als wolle sie sagen: Einen kannst du haben, wenn du willst. Sie trägt ein trägerloses Bikini-Oberteil und ist überraschend jung, kaum dreißig. Hat volle, runde Brüste und nach Kerstins Eindruck wenig Grund, sich mit Kerlen abzugeben wie den beiden rechts und links von ihr. Wortlos prostet sie Kerstin zu und dreht sich wieder um.
    Wo bleiben die beiden? In den Blicken der Gastgeberin hat sie eine gewisse Empfänglichkeit für weibliche Reize zu erspüren geglaubt, und jetzt fragt sie sich, ob das für Karin vielleicht auch gilt. Die Art, wie sie manchmal ihre Hand auf Kerstins Arm oder Bein legt, lässt das möglich erscheinen und ist gleichzeitig zu unbestimmt, um die Möglichkeit zum Verdacht zu erhärten. Oder sehen sie dem jungen Pärchen zu? Oder anderen, die bereits seit längerem dort hinten zugange sind? Die Vorstellung ist absurd und gleichzeitig buchstäblich naheliegend, so greifbar hinter dem wenige Meter entfernten Durchgang, dass sie sichbeherrschen muss, sie nicht durch einen raschen Blick zu bestätigen oder zu verwerfen.
    »Geht aufs Haus«, sagt Gerd und schenkt ihr noch einen Schuss Wodka nach.
    »Danke, ich …« Sie legt die Hand über ihr Glas und lächelt. Er hat dunkle Augen, leicht wässrig, das nimmt seinem Blick die Intensität, obwohl er ihr diesmal ziemlich lange begegnet. »Ich vertrag nicht so viel.« Leise sagt sie das, um nicht einen Kommentar von gegenüber zu provozieren. Über seine Schulter hinweg registriert sie eine Bewegung bei den Yucca-Palmen und sieht kurz darauf die stolze Viktoria in Richtung Bar kommen, mit der Andeutung eines Lächelns auf ihren harten Zügen, als hätte sie gerade etwas gehört, was sich für ihre Zwecke verwenden lässt.
    »Zwei Bordeaux«, bestellt sie, noch bevor Gerd sie überhaupt wahrgenommen hat. Zwei Bordeaux ohne ›bitte‹. Die Art, wie sie ins Leere sieht, während Gerd die Weinflasche entkorkt, wie sie weder die Krokodilsblicke noch Kerstins scheue Musterung bemerkt, wirkt souverän und selbstgerecht. Irgendjemanden hat sie dort sitzen im Dunkelbereich hinter den Yucca-Palmen, und den wird sie nicht gehen lassen, bevor sie bekommen hat, was sie will – und ihrem Blick nach zu schließen, will sie alles. Wortlos schiebt sie einen Geldschein über die Theke, nimmt die Gläser und ist bereits wieder zwischen den Palmen verschwunden, als Gerd das Wechselgeld abgezählt hat und ihr geben will.
    »Danke auch«, murmelt er und lässt es zurück in die Schublade fallen, die als Kasse dient.
    Kerstin trinkt einen Schluck Wodka und kann sich, als Gerd erneut in ihre Richtung sieht, die Frage nicht länger verkneifen:
    »Wo bleiben die beiden?«
    Seine Antwort ist eher eine Feststellung als eine Frage:
    »Dir gefällt’s hier nicht, oder?«
    »Ungewohnt.« Hinter sich hört sie die Ankunft neuer Gäste,fragt sich, wie die hereingekommen sind, vermeidet es aber, sich nach ihnen umzudrehen. »Und dir, gefällt’s dir hier?«
    »Ich war Fernfahrer«, sagt er, »aber nach dem zweiten Bandscheibenvorfall ging das nicht mehr. Und der Job im Büro, den sie mir stattdessen angeboten haben, ging auch nicht.

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