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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Liegeflächen und ein bisschen Spielzeug, in die man sich zurückziehen kann. Die Räume haben Türen, und man kann sie entweder schließen – dann bleibt man ungestört – oder offen lassen, damit lädt man andere zum Zuschauen oder Mitmachen ein. Das Mantra in unserem kleinen Ashram der Liebe lautet: Alles geht …«
    »… nichts muss«, sagt Karin vergnügt. Sie steckt ihren Geldbeutel wieder ein, und Kerstin versucht einen Blick in die Handtasche zu werfen, ob darin vielleicht Kondome liegen, aber es geht zu schnell.
    »Genau.« Gabi lächelt Kerstin an, als wolle sie prüfen, ob ihr zweiter Gast die simple Präambel vor dem Grundgesetz des Bohème ebenfalls verstanden hat. Als wüsste sie genau, wer hier die Zögerliche ist, auf wessen Stirn geschrieben steht: Alles geht, ich nicht.
    »Gut«, sagt sie und denkt: Ich befinde mich in einem Bumslokal in der Provinz. Und niemand hat mich gezwungen.
    »Dann bitte.« Gabi streckt einen Arm in Richtung des schwarzen Vorhangs und drückt mit der anderen Hand ihren Zigarillo aus. Sie trägt einen langen schwarzen Rock, der an den Seiten hoch genug geschlitzt ist, um über dem Ende der Netzstrümpfe einen Streifen heller Haut hervorschimmern zu lassen. Schuhe hat sie keine an. Mit einem Summen auf den Lippen geht sie voran und teilt den schwarzen Vorhang mit einer Handbewegung, als grüße sie nach einer Darbietung ein applaudierendes Publikum.
    Dahinter dämpft Teppich die Schritte. Die Wände sind in wechselnden, ineinander überfließenden Tönen von Rot, Orange und Gelb gehalten, auf denen kleine Leuchter ihr Licht verteilen. Die Stimmen werden deutlicher, vermischen sich mit leiser Musik. Vor dem nächsten schwarzen Vorhang führt ein offener Durchgang in einen Seitenraum.
    »Hier kann man sich umziehen, wenn man möchte.« Gabi will den Raum gerade betreten, als eine Frau mit Federboa ihn verlässt. Groß, mit einem an die zwanziger Jahre erinnernden Netz über den zusammengesteckten Haaren, von einem breiten Band abgeschlossen und auf der Stirn mit einer dunklen Brosche verziert, blickt sie einen Augenblick irritiert, als wäre sie bei einer dringenden Erledigung aufgehalten worden. Ihr Alter ist schwer zu schätzen. Sie trägt einen Hosenanzug, dessen Oberteil eher an ein Négligé erinnert, jedenfalls ist es durchsichtig genug, einen schwarzen BH durchscheinen zu lassen. Gabi nennt sie Viktoria, macht ihrem Outfit ein Kompliment und sagt:
    »Hat schon jemand nach dir gefragt.«
    Der Ausdruck auf Viktorias Gesicht lässt an einen Adler denken, der seine Beute entdeckt.
    »Gut«, sagt sie mit tiefer, beinahe männlicher Stimme. Ohnedie beiden anderen Frauen eines Blickes zu würdigen, rauscht sie weiter zum zweiten Vorhang. Gabi sieht ihr nach und schüttelt den Kopf, und ihr Lächeln wirkt auf Kerstin mit einem Mal noch hausfrauenhafter als vorher.
    »Soll noch einer sagen, wir wären kein bunter Haufen hier. Also: Der Umkleideraum, falls ihr ihn braucht?«
    Karin schüttelt den Kopf.
    »Ich würde gerne so bleiben.« Kerstin hat ein merkwürdiges Bedürfnis zu sprechen, so als würde ihr das Halt geben auf dem schwankenden Grund, über den sie geht.
    Zum ersten Mal liegt etwas anderes als die Freundlichkeit der Hausherrin in Gabis Blick, als sie sagt:
    »Das sieht sehr schön aus.« Das unsichtbare Ausstrecken einer Hand? Die Andeutung eines Du würdest aber auch sehr schön aussehen ohne … ? Kein doppelter Boden, nur Liegeflächen und ein bisschen Spielzeug . Nur ein bisschen Nichts muss, aber wo wir schon mal hier sind … Die Schwerkraft ist sowieso stärker als wir, dafür muss man nicht Einstein sein, das versteht auch Gabi Müller. Die hebt sogleich die Hände für den wichtigen Teil: »Dort hinten gibt es auch eine Damentoilette, die größer ist als die andere in der Bar. Also zum Schminken.« Sie lässt ihren Blick zwischen ihren Gästen hin und her gehen und scheint sich ein bisschen an Karins Lächeln aufzuwärmen, bevor sie wieder Kerstins Skepsis begegnet.
    »Übrigens hab ich vergessen, euch Masken anzubieten. So ganz kleine, nur für die Augen. Manche Gäste wollen das gerne, aber heute sind bislang alle unmaskiert. Also?«
    »Nein danke.«
    »Ein andermal vielleicht«, sagt Karin.
    »Ist auch schwierig mit Make-up.« Gabi nickt ein weiteres Mal in ihrer beider Richtung. »Schön, dann schlage ich vor, wir gehen mal in den Club.«
    Kerstin lässt die beiden anderen vorgehen und fühlt den Wunsch, sich für irgendwas zu entschuldigen, sich zu

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