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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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Hanglage am Hainköppel war der Atem der Nacht nicht mehr schal und abgestanden, sondern wehte kühl vom Wald herab. Sie sah das Licht im Wohnzimmer angehen und auf den Rasen fallen. Einen Schemen in der Mitte des Zimmers. Spürte einen Hauch von Alles-wirdgut.
    Am Fuß der Einfahrt klopfte sie Daniel auf die Schulter.
    »Geschafft. Linda schläft bestimmt schon.« Aber er war kein frisch verliebter Entdecker mehr, sondern ein erschöpftes Kind, zu müde, um mit mehr als einem Nicken auf die Worte seiner Mutter zu reagieren. Kurz drückte sie ihn an sich, hielt ihr Gesicht in sein Haar und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann war sie bereit für die Begegnung mit ihrem Mann.
    Das Licht aus dem Wohnzimmer fiel durch die Glastür bis in die Diele. Daniel kickte seine Schuhe in die Ecke und schlich auf Socken die Treppe hinauf.
    Kerstin blieb in der Tür stehen.
    »Guten Abend«, sagte sie.
    In aufgeknöpfter Uniform stand Jürgen zwischen Wohnzimmertisch und Sofa und hielt die Fernsehzeitung in der Hand, als hätte ein Porträtfotograf ihn dazu aufgefordert. Bis zur Tür konnte sie den Geruch aus Schweiß, Bier und Festzelt riechen.Er sah müde aus, geradezu verwirrt, und für einen Moment fand sie ihn Lars Benner gar nicht unähnlich.
    »Ich dachte, ich wäre nach euch losgegangen«, sagte er.
    »Wir mussten einen Umweg gehen. Ist Hans schon im Bett?«
    »Sieht so aus.«
    Sie standen einander gegenüber, nicht frontal, sondern seitlich verdreht, die Körper und die Blicke auch, als wollten sie direkten Augenkontakt ebenso vermeiden wie den Eindruck, einander aus dem Weg zu gehen. Zusammengerolltes Bettzeug lag auf dem Sofa.
    »Ich schau kurz nach Daniel«, sagte sie.
    Der stand in Unterhose vor dem Waschbecken und ließ Zahncreme aus seinem Mund klecksen. Seine Klamotten lagen verstreut auf dem Boden, außerdem Jürgens Hut und die weißen, schon ziemlich ramponierten Handschuhe. Den Säbel sah sie nicht.
    »Katzenwäsche und dann ab ins Bett.« Mit einem Waschlappen fuhr sie ihm über Gesicht, Hals und Nacken, während er seine Zahnbürste abspülte. Ihr Versuch, ihn ein bisschen zu kitzeln unter den Armen, scheiterte am dicken Fell seiner Schläfrigkeit. »Gute Nacht, mein Schatz.« Sie küsste ihn auf den Mund, was sie selten tat, aber seinem schon schlafenden Gesicht konnte sie nicht widerstehen. Ohne eine Miene zu verziehen, teilte er ihr mit, dass sie stinke.
    Während sie seine Kleider zusammensammelte und Socken in den Wäschebehälter wandern ließ, suchte sie nach einer Strategie für die Unterredung mit ihrem Mann. Der schien reglos unten im Wohnzimmer zu sitzen, jedenfalls hörte sie weder Schritte noch einen Wasserhahn oder Geschirrklappern in der Küche. Wollte sie ihn eine weitere Nacht auf dem Sofa verbringen lassen? Was war eigentlich das dominierende Gefühl? Immer noch Wut? Temperiert von Gleichgültigkeit? Angeheizt von Verlangen, abgeschwächt von seinem Biergeruch? Sie verzichtete sogar aufs Händewaschen. Nach Schmusen war ihr nichtzumute. Wenn Sex, dann wollte sie ihn schnell und schmutzig und nicht im Schlafzimmer. Und wenn keinen Sex, dann würde sie ihm am liebsten befehlen, auf dem Fußabtreter vor der Terrassentür zu übernachten.
    Daniel war sofort eingeschlafen. Kurz stand sie in der Tür und widerstand dem Drang, ihn noch einmal zu küssen, wollte auch seine Bettdecke nicht mehr berühren, löschte das Licht und schloss die Tür. Horchte. Dann ging sie nach unten.
    Natürlich kannte sie die Redensart: Eine Frage in den Raum stellen – neu war das Gefühl, einen Raum zu betreten, in dem schon eine stand. Gefolgt von seinem Blick ging sie weiter in die Küche, füllte sich an der Spüle ein Glas Wasser und kehrte zurück. Er saß auf dem Sofa, wie ein Patient jetzt, der gebeten worden ist, sich freizumachen, und dem nach dem ersten Knopf einfällt, dass er nicht versichert ist.
    »Schläft er?«, fragte er. Nicht zurückgelehnt, sondern aufrecht in der Mitte der Sitzfläche.
    Es brannte nur die Stehlampe hinter dem Sofa, außerdem das Licht in Flur und Küche. Der Raum gespiegelt in den dunklen Fensterscheiben, transparent und wie würfelförmig in den Garten gestellt. Möbel, durch die sich Rosen bohrten.
    »Er hat sich verliebt«, sagte sie statt einer Antwort. Eine Bemerkung, die erstauntes Nachfragen verlangte, auf die er aber nur mit stummem Nicken reagierte, so als wäre es ein Subtext, den er vernommen hatte, eine codierte Beschuldigung und er geständig.
    »Ich hol mir auch

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