Grenzlande 1: Die Verpflichtung (German Edition)
Sie die Grenzlande erreichen. Nutzen Sie diese Zeit klug.«
Ich starrte ebenfalls auf das mittlere Schiff. Es war prachtvoll, sowohl als Bestechung als auch als Wiedergutmachung, um den Schmerz zu lindern, dass Hauptmann Suiden Groskin und Ryson zurücknehmen musste. Die Eleganz seiner Linien fiel selbst mir als Laien ins Auge. Ich sah den Hauptmann an, der seinen Blick nicht von dem Windgleiter losreißen konnte. Manchmal war es sehr einfach, aus der Not eine Tugend zu machen.
»Sire«, sagte Lordkommandeur Thadro leise. Er blickte an dem König vorbei auf etwas hinter ihm.
Jusson drehte sich rasch um. »Oh, Hölle und Verdammnis! Was ist jetzt schon wieder?«
Die Soldaten und die Hafenarbeiter machten Platz und verbeugten sich so ehrerbietig, wie sie es nicht einmal vor König Jusson getan hatten, als Patriarch Pietr an ihnen vorbeischritt. Sein Büßerhemd und sein kahlrasierter Schädel waren unter seiner Robe und seinem Amtshut verborgen. Ihm folgte Doyen Allwyn, und das Ende bildete Erzdoyen Obruesk, allerdings ohne seinen Amtsstab.
Vor König Jusson blieb der Patriarch stehen. »Bitte verzeiht meine Aufdringlichkeit, Euer Majestät, aber ich habe Euch gesucht und wurde hierher verwiesen. Ich möchte Euch um etwas ersuchen.«
»Ja, Euer Heiligkeit?«, antwortete Jusson argwöhnisch.
Der Patriarch bedeutete einem Schreiber vorzutreten. »Da die Heilige Kirche, wenn auch unwissentlich, in die schrecklichen Taten verwickelt worden ist, die gegen die Grenzlande begangen wurden, möchte ich Doyen Allwyn mit den Gesandten dorthin schicken, damit er vor dem Hohen Rat der Grenzlande über die Entschädigung sprechen kann, welche die Kirche zu machen gedenkt.«
»Selbstverständlich, Eure Heiligkeit«, antwortete Jusson. »Aber unterzieht er sich nicht gerade einer Läuterung?«
»Er kann auf dem Schiff ebenso gut fasten und beten wie sonst wo«, gab Patriarch Pietr zurück. Er winkte erneut, diesmal barscher, und Erzdoyen Obruesk, der sich im Hintergrund gehalten hatte, trat schleppend vor. »Ich möchte Euch ebenfalls ersuchen, den Erzdoyen mitreisen zu lassen …«
Es wurde mucksmäuschenstill auf dem Kai.
»… da er so außerordentlich großes Interesse an den jüngsten Ereignissen gezeigt hat. Auf diesem Weg vermag er aus erster Hand diese Ereignisse zu verfolgen und ein umfassenderes Verständnis zu erwerben, welche Konsequenzen die Sünde des Hochmuts nach sich zieht, und was jenen widerfährt, die eine Position anstreben, in der sie nichts zu suchen haben.«
Obruesks Position war offenbar doch nicht so stark gewesen, wie er geglaubt hatte. Oder die des Patriarchen war stärker.
»Natürlich, Eure Heiligkeit.« Jusson stellte unter Beweis, dass auch er eine undurchdringliche Miene aufzusetzen imstande war.
»Vielen Dank, Euer Majestät. Ihr seid höchst großzügig.« Der Patriarch sah Thadro an. »Mir ist zu Ohren gekommen, Lordkommandeur, dass Sie keinen Schiffsgeistlichen mit auf die Reise nehmen.«
»Nein, Euer Heiligkeit. Wir hatten keine Zeit, nach einem geeigneten Priester zu suchen.«
Der Patriarch nickte. »Verstehe. Die Dinge haben sich wirklich recht schnell entwickelt.« Er lächelte und entblößte seine Zähne. »Darf ich vielleicht den Erzdoyen für diese Aufgabe empfehlen?«
Die Macht des Patriarchen war eindeutig größer, und zwar erheblich.
Thadro musste sich bemühen, seine Kinnlade unter Kontrolle zu behalten. »Ich bin sicher, wenn er sich entscheidet, Gottesdienste abzuhalten …«
»Nein, Lordkommandeur«, fiel der Patriarch ihm ins Wort. »Dies dient ebenfalls dazu, ihm ein Verständnis dafür zu ermöglichen, was es bedeutet … Wie nennen Sie das noch gleich? Ach ja, die Hierarchie der Befehlskette zu respektieren, nicht wahr? Erlauben Sie ihm, das Amt des Schiffskaplans mit all seinen Pflichten wahrzunehmen.«
»Ja, natürlich, selbstverständlich, Euer Heiligkeit.« Thadros Stimme klang ein wenig dünn.
»Danke.« Der Patriarch hob die Brauen. »Welchen Rang wird er bekleiden?«
»Hat er in der Armee gedient, Euer Heiligkeit?«
»Nein, Lordkommandeur.«
»Nun, dann den Rang eines Hauptmanns. Allerdings ohne Befehlsgewalt.«
»Sie meinen, niemand muss ihm gehorchen?« Der Patriarch zeigte sein komplettes, intaktes Gebiss.
»Nein. Will sagen, ja, das stimmt.«
»Er dagegen muss den anderen gehorchen?«
»In militärischen Angelegenheiten, ja.«
»Und das wäre?«
»Was die Offiziere dazu erklären«, antwortete Thadro.
Das Lächeln des Patriarchen
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