Grenzlande 2: Die Königstreuen (German Edition)
bindet das Land selbst. Wer daran herumpfuscht, riskiert eine starke … sagen wir, Reaktion.«
Zum Teufel. Ich riss den Blick von Thadro los und sah Laurel an, der gerade unverhüllt auf Jussons Unterhaltung mit Lord Randulf angespielt hatte. Eine Unterhaltung, bei der Laurel nicht anwesend gewesen war, jedenfalls nicht körperlich. Ich wartete auf die königliche Explosion, aber Jusson sah nur verärgert drein. »Ich dachte, du hättest gelernt, deine Gedanken davor zu schützen, gelesen zu werden, Cousin«, sagte er.
Als ich meine volle Macht erlangte, war eines der Talente, das sich manifestierte, die Fähigkeit, Gedanken zu lesen. Ich war ein starker Sender, und wie sich herausstellte, konnten alle, die es wollten, nach Belieben meine Gedanken durchblättern, wie Laurel und andere es bei etlichen Gelegenheiten demonstriert hatten. Ich hatte einen großen Teil des letzten Sommers damit verbracht zu lernen, wie ich meine Gedanken für mich behalten konnte. Jedenfalls hatte ich das geglaubt. Offenbar hatte ich mich geirrt.
»Ich habe es gelernt, Euer Majestät.« Ich war ebenfalls verärgert.
»Ihr hattet einen anstrengenden Tag, Hase«, erklärte Laurel. »Und Ihr wart müde und hungrig. Es ist sehr verständlich, dass Eure Konzentration nachließ.« Er sah Jusson an. »Aber die Tatsache, ehrenwerter König, dass seine Konzentration nachgelassen hat und ich in der Lage war, es auszunutzen, zeigt, dass Hase noch nicht sich selbst überlassen werden darf …« Er hielt inne und legte die Ohren an. Einen Moment später klopfte es an der Tür.
»Unser Gast Lord Wyln ist endlich eingetroffen«, sagte Jusson, immer noch verärgert.
Thadro nickte Jeff zu, der die Tür öffnete. Doch statt des Zauberers Wyln stand die Hüterin des Königlichen Friedens davor. Bevor Jusson oder Thadro reagieren konnten, trat Chadde ein und verbeugte sich. Der Blick ihrer grauen Augen glitt über Laurel und mich. »Ich bitte um Verzeihung für mein Eindringen, Euer Majestät«, sagte sie. »Aber es hat einen Mord gegeben.«
7
Der Oberschließer war tot genauso unsympathisch wie zu Lebzeiten.
Ich stand in dem Totenhaus der Stadt und starrte auf Mencks nackten Leichnam, der einen der vier hüfthohen, steinernen Seziertische belegte. In den eisernen Halterungen an den grauen Steinwänden rußten Fackeln und warfen tanzende Schatten durch den Raum. Laternen über dem Kopf und den Füßen des Toten spendeten ein etwas ruhigeres Licht. Die in Talg getauchten Fackeln stanken hier genauso wie im Gefängnis und wetteiferten mit dem Geruch der Binsen und Kräuter, mit denen der Boden bestreut war. Ein Gestank von Fäulnis lag darunter, durchsetzt mit dem stechenden Aroma, das sich gewöhnlich in Latrinen und Abtritten findet. Ich zog den geliehenen Umhang dichter um mich und war dankbar für den Geruch von feuchter Kälte, den die Wolle ausstrahlte.
Mencks Augen starrten in boshaftem Entsetzen an die dunkle Decke; sein Mund stand offen und zeigte fehlende und verfaulte Zähne. Die stoppeligen Wangen waren teigig weiß. Mir war ein gewaltsamer Tod nicht fremd, ich hatte in meiner Armeelaufbahn oft genug selbst getötet. Aber so etwas wie die Stichwunden in der Brust des Schließers hatte ich noch nie gesehen. So viele, und alle funkelten leuchtend rot. Dann begriff ich, dass das Funkeln daher kam, dass das Blut gefroren war, und ich runzelte die Stirn. Es war zwar kalt, aber es herrschte noch kein Frost. Ich streckte meine behandschuhte Rechte nach dem haarigen und etwas schmutzigen Arm aus, um herauszufinden, ob der Rest des Schließers ebenfalls gefroren war.
»Leutnant«, sagte Thadro.
Ich unterdrückte ein Seufzen und ließ die Hand sinken. Jeff stand neben mir und streifte den Lordkommandeur mit einem kurzen Blick, bevor er mich ansah. Dann drehten wir uns beide um und beobachteten Laurel, der den Leichnam behutsam untersuchte. Friedenshüterin Chadde wich ihm nicht von der Seite. Als wir eintrafen, hatte Thadro versucht, auf Chaddes Schamgefühl Rücksicht zu nehmen, und ein Taschentuch über Mencks Geschlechtsteile gelegt. Die Friedenshüterin hatte den Lordkommandeur jedoch nur gelassen angesehen, woraufhin er mit einem knappen Lächeln das Tuch wegzog. Und jetzt ließ sie Laurel nicht aus den Augen.
»Was hat dieser Hexer hier verloren? Und was zum Teufel ist das ?«
Ich drehte mich hastig herum. In der Tür stand Lord Ranulf. Er trug einen Pelzmantel, und einen Moment sah es so aus, als würde ein großer Bär dort stehen.
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