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Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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seiner ganzen Autorität. Er sah sich im Raum um. »Geht alle«, sagte er. Die Frau, die aufgeschrien hatte, begann zu weinen und legte die Arme um die Frau neben ihr. Der Psychologe kauerte wie erstarrt auf dem Boden. Frank saß lächelnd in seinem Stuhl.
    Archie musste das Zimmer leer bekommen. Es waren zu viele Leute hier. Courtenay musste sich beruhigen können. Menschen trafen schlechte Entscheidungen, wenn sie wütend und aufgeregt waren. Es gab jetzt bereits zu viele unberechenbare Elemente. Der Umgang mit Geiseln war schwer genug, und geistig instabile Geiseln machten alles sehr gefährlich.
    Archie drehte sich zu dem Pfleger um. »Vertrauen Sie mir«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Ich weiß, wie man so etwas macht. Gehen Sie.« Der Pfleger warf einen Blick zu Courtenay. Dann sah er Archie an, nickte und ging rückwärts hinaus. Es war, als würde eine Sperre gelöst. Der Psychologe rannte, den blutenden Arm an den Körper gedrückt, zur Tür, die beiden Frauen gingen hinter ihm hinaus. Frank rührte sich nicht.
    Das Telefon fing zu läuten an.
    »Der Sicherheitsdienst wird in ein paar Minuten hier sein«, rief eine Schwester von der Tür her Archie zu.
    Sie waren jetzt noch zu dritt: Archie, Courtenay und Frank.
    Courtenays Nasenflügel blähten sich bei jedem Atemzug, und ihre Knöchel um das Stück Furnier waren weiß.
    »Alles wird gut«, sagte Archie leise. Er streckte langsam die Hand aus. »Bitte gib mir das.«
    Courtenay sah ihm in die Augen und drückte das Furnier tiefer in ihren Hals. Blut tropfte auf ihre Brust hinunter.
    »Du musst das nicht tun«, sagte Archie.
    Sie lockerte ihren Griff, Farbe strömte in ihre Hand zurück. Über ihre Wangen liefen Tränen. »Ich bin fett«, sagte sie.
    Sie war nicht fett. Sie war nicht einmal üppig proportioniert. Der Pyjama schlotterte ihr eine Nummer zu groß um den Leib. Das also hatte sie dazu gebracht, einen Psychologen anzugreifen und sich ein Stück Arbeitsplatte in den Hals zu rammen?
    »Es liegt an dem Lithium«, sagte Frank von seinem Stuhl.
    »Du bist nicht fett«, sagte Archie. »Es wäre also extrem idiotisch, wenn du dich deshalb mit einem Stück Theke aufschneiden willst.«
    Das Telefon läutete immer noch.
    Archie hörte das Chaos im Flur hinter sich. Leute riefen, jemand weinte. Psychiatriestationen waren wie Kindergartengruppen – Wutanfälle wirkten ansteckend.
    Courtenay reckte den Kopf in Richtung Archie. »Wie hast du es gemacht?«, fragte sie.
    Archie fragte sich, ob sie es ihm irgendwie ansehen konnte, so wie er ihre Verbände sah. »Tabletten«, sagte er.
    »Hast du Kinder?«
    »Zwei«, sagte Archie. »Sechs und acht.«
    Das Telefon läutete hartnäckig weiter. Archie musste sich zusammennehmen, um es nicht einfach aus der Wand zu reißen.
    Frank stand auf und wollte zu dem Apparat gehen.
    »Setz dich, Frank«, sagte Archie.
    Frank blickte auf, erschrocken von Archies Tonfall, dann zeigte er mit einem Finger auf das Telefon. »Es ist für mich«, sagte er. »Es ist meine Schwester.«
    »Es ist nicht wichtig«, stieß Archie zwischen den Zähnen hervor.
    Courtenay wischte sich mit dem Unterarm über die Nase. »Ich habe mir die Handgelenke aufgeschnitten«, sagte sie. »Aber ich habe es falsch gemacht. Quer. Man muss längs schneiden. Wusstest du das?«
    »Ja«, sagte Archie.
    Frank grinste. »Denkt dran, Kinder«, sagte er in einer Art Singsang. »Immer die Straße entlang, nicht quer hinüber.«
    »Frank«, warnte Archie.
    Courtenay schüttelte traurig den Kopf. »Ich wusste es nicht.«
    Ihre Knöchel wurden wieder weiß, und Archie wusste, ihm blieb nur eine Sekunde, um sie davon abzuhalten, sich erneut zu verletzen.
    »Mit dem Ding kommst du nicht bis zur Halsschlagader durch«, sagte er rasch. »Es ist nicht scharf genug.«
    Er trat vor und zog seinen Kragen zurück, sodass man die Narbe an seinem Hals sah. »Schau«, sagte er, hob das Kinn und trat noch einen Schritt auf Courtenay zu, damit sie die hässliche Wulst aus Narbengewebe betrachten konnte, die Gretchen ihm hinterlassen hatte. Courtenay wollte schön sein.
    »Du wirst dich nur verunstalten«, sagte er.
    Courtenay blieb der Mund offen, als sie auf seinen Hals starrte. Sie blinzelte heftig, dann ließ sie das Furnier auf den Boden fallen und betupfte ihre selbst zugefügte Wunde mit den Fingern. »Werde ich eine Narbe behalten?«, sagte sie mit sorgenvoll gekräuselter Stirn.
    Archie trat zu ihr und fasste sie sanft an den Schultern. Es war eine Geste des Trostes und

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