Gretchen
geschwollen. Ihre graue Haut war von Adern durchsetzt. Sie sah aus, als wäre sie aus italienischem Marmor geschnitten worden.
Sie war zu diesem Zeitpunkt ein paar Tage tot gewesen. Und Jeremy Reynolds hatte es mit angesehen. Wie sollte man über so etwas je hinwegkommen?
»Gehen Sie zum Chatroom«, sagte Archie.
Susan sah zu ihm hinüber. Er war nun wie gebannt und saß vorgebeugt mit den Händen auf den Knien da. Sie ging zum Chatroom. Es gab Dutzende von Einträgen, meist mit begleitenden Icons, die irgendwie mit Gretchen zu tun hatten. Ihr Bild. Ein gezeichnetes Herz. Ein Skalpell.
»Als die Earth Liberation Front wirklich aktiv war«, sagte Archie, »kommunizierten ihre Mitglieder über Chatrooms. Auf diese Weise mussten sie keine E-Mail-Adressen benutzen. Sie gingen einfach auf eine vereinbarte Website. Und benutzten den Chatroom, um Treffen anzuberaumen.« Er langte über Susan hinweg und begann, die Einträge durchzuscrollen. »Hier«, sagte er und tippte auf den Schirm.
Susan las den Eintrag laut vor. »Markt. Mitternacht. Heute.« Sie sah ihn an. »Welcher Markt?«
»Der Großmarkt«, sagte Archie. »Obst und Gemüse. Wir haben eins von Gretchens Opfern im Keller eines Lagerhauses dort gefunden. Guter Ort für ein Treffen des Beauty Killer Elks Clubs. Fahren wir hin?«
»Verdammt, ja«, sagte Susan.
_ 38 _
Susan verbrachte den Rest des Tages damit zu arbeiten. Sie klopfte sogar an die Türen von Nachbarn des Pflegers. Er machte immer einen so netten Eindruck. Und rief bei Courtenay Taggarts Familie an. Sie war so ein liebes Mädchen. Susan aß eine veganische Lasagne mit ihrer Mutter, wartete bis halb zwölf und fuhr dann los, um Archie abzuholen.
Er erwartete sie wie vereinbart auf der Rückseite des Blocks. Sie wusste nicht, ob er sich aus einem rückwärtigen Fenster geschlichen hatte, während Henry schlief, und sie fragte ihn nicht danach.
Um diese Uhrzeit herrschte kaum Verkehr, und sie brauchten gerade mal eine Viertelstunde bis zum Großmarktbezirk. Susan parkte unter der Morrison Street Bridge. Das Gewirr der Highways über ihnen ließ diesen Teil der Stadt besonders schmutzig und urban erscheinen. Normalerweise hörte man mehr Fahrzeuglärm, aber es war spät, und nur gelegentlich donnerte ein Sattelschlepper über sie hinweg. Archie leerte seine Taschen, legte zwei Handys in das Handschuhfach von Susans Wagen und steckte sich dann die Waffe, die er von Jack Reynolds bekommen hatte, hinten in den Hosenbund. Susan überprüfte ihren Vorrat an chemischer Keule. Es war dunkel nachts im Großmarktviertel. Und die breiten Straßen und betonierten Laderampen ließen es besonders leer erscheinen.
»Hier entlang«, sagte Archie. Susan folgte ihm die Straße entlang und um die Ecke zu einem riesigen alten Lagerhaus. Das innerstädtische Gewerbegebiet von Southeast Portland war voll davon. Das hier aber ragte mit seinen fünf Stockwerken besonders bedrohlich auf.
Archie sprang auf die Laderampe und ging zu einer nicht beschrifteten Brandschutztür.
»Ich war in der Highschool hier bei einem Konzert«, sagte Susan, als Archie die Tür hinter ihnen schloss. »Im ersten Stock gab es früher einen Jugendclub.«
»Faszinierend«, sagte Archie.
In dem Gebäude wurden keine Naturerzeugnisse mehr gelagert. Stattdessen schien es hauptsächlich voller asiatischer Möbel zu sein, es stank nach Orangenölpolitur und Reisstrohmatten. Ein paar Neonlichter flackerten an der Decke und beleuchteten riesige Stapel von glänzenden Zierschränken, chinesischen Lampen, Truhen, Buddhastatuen, Pflanzenständern. Susan sah keine Überwachungskameras. Wären sie Futondiebe gewesen, nichts hätte sie aufgehalten.
»Hier entlang«, sagte Archie abermals. Er ging durch eine weitere Tür und drückte auf einen Lichtschalter. In einem Korridor sprang eine Reihe nackter Energiesparlampen stotternd an. Die Holzböden waren verzerrt, was bei Susan eine Art Schwindelgefühl hervorrief, während sie Archie folgte. Die Wände waren mit bunten Airbrush-Bildern und gesprühten Signaturen bedeckt.
»Wenigstens sind die Graffiti interessant«, sagte Archie.
Susan sah sich die Wände genauer an. Neben einigen der Bilder sah sie unverkennbare rote Aufkleber. »Das ist Kunst«, sagte sie.
Archie antwortete nicht.
»Wirklich«, beharrte Susan. »Sehen Sie die roten Punkte? Das ist eine Galerie.«
»Es ist ein modriger Korridor«, sagte Archie.
»Schrägstrich Galerie«, sagte Susan. »Niedrige Geschäftskosten. Viele dieser
Weitere Kostenlose Bücher