Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
ging zurück zur Burg. Der Grund dafür waren Jakes ständige Bemerkungen, dass er Greystone bald würde verlassen müssen. Das entsprach natürlich der Wahrheit und war von ihm selbst ebenfalls so geplant, aber Jake konnte es scheinbar kaum erwarten, dass er ging. Alle Hilfe, die der Earl ihm heute Abend hatte zuteilwerden lassen, zielte nur darauf ab, ihn loszuwerden.
Ian betrat sein Zimmer, schnallte den neuen Waffengürtel ab und warf ihn auf das Bett. Seit dem Vorfall im Kräuterhaus hatte er sich sehr gut mit Jake verstanden und sogar an eine beginnende Freundschaft geglaubt. Doch der heutige Abend hatte deutlich gezeigt, dass Jake daran nicht interessiert war und das ärgerte ihn. Denn trotz aller vorangegangenen Auseinandersetzungen mochte er ihn sehr gerne. Das freundliche Verhalten des Earls während seiner ersten Tage in Greystone hatte ihn annehmen lassen, dass er wie Ronen bald zu seinen Vertrauten zählen würde. Doch dem war offensichtlich nicht so. Ihre Beziehung zueinander beruhte einzig und alleine auf dem Angebot, das Jake ihm im Burghof von Darkwood gemacht hatte. Und es würde enden mit dem Tag der Abschlussprüfung im April, das gab der Earl ihm immer wieder zu verstehen.
Mit einem Stöhnen ließ sich Ian auf den Stuhl fallen. Irgendwie war das Ganze merkwürdig, weil es Momente gab, in denen er spürte, dass Jake ihn schätzte und seine Gegenwart als angenehm empfand. Und kaum schienen dem Earl diese Gefühle bewusst zu werden, wies er ihn brüsk zurück und hielt ihn auf Abstand. Die Frage war nur – warum?
18
Die Mitglieder der Prüfungskommission reisten einen Tag vor Beginn der Prüfungswoche an. Gemeinsam mit Jake empfing Joanna sie in der Bibliothek. Nachdem am Abend alles für die ersten Tests vorbereitet worden war, ging sie zu Ians Zimmer. Es war spät und sie klopfte nur leise, für den Fall, dass er bereits schlief. Doch er öffnete sofort die Tür. „Was ist los?“, fragte sie erstaunt, als sie sah, dass er vollständig angezogen war.
Er hob die Hände. „Ich bin zu aufgeregt, um zu schlafen, fürchte ich.“
Sie lächelte. „Morgen früh habe ich viel zu tun. Wir werden uns erst beim Mittagessen sehen. Deshalb bin ich jetzt gekommen, um dir Glück zu wünschen.“ Sie zögerte, legte dann aber ihre Hand an seine Wange. „Geh zu Bett. Der Schlaf wird kommen.“
Sanft zog Ian ihre Finger zu seinem Mund und küsste sie.
Joanna hielt den Atem an. Sobald diese Prüfung vorbei war, musste sie sich über ein paar grundlegende Dinge klar werden!
„Danke, dass du hier warst.“ Er ließ ihre Hand los und wollte die Tür schließen.
„Ian!“
„Ja?“
„Du schaffst das. Ich weiß es.“
Er zwinkerte ihr zu, bevor er die Tür endgültig schloss.
Aufgeregt erwachte Joanna am nächsten Morgen. Es war eine ehrgeizige Idee gewesen, Ian mit nach Greystone zu nehmen, doch er hatte ihre Erwartungen übertroffen. Die Vorstellung, dass er bei der Zwischenprüfung durchfiel, war unerträglich. Energisch schüttelte sie den Kopf. Es würde nichts schiefgehen! Aber ihre innere Unruhe blieb.
Täglich fanden zwei Prüfungen statt, und abends suchte Ian Joanna auf, um ihr davon zu berichten. Da er das Gefühl hatte, dass alles gut gelaufen war, wagten sie es beide sich vorsichtig zu freuen.
Am Tag der großen Feier waren Joannas Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Nicht wegen der Tanzprüfung, die am Abend dem Fest vorausgehen würde, sondern wegen der Reitprüfung, die am Vormittag stattfinden sollte. Sie hoffte, es ginge Ian besser als ihr.
Aber als sie ihn am Morgen in den Ställen entdeckte, sah sie, dass er sehr bleich war. Sie wollte zu ihm gehen, doch Philipp trat auf sie zu.
„Lady Joanna? Macht Euch keine Sorgen. Ich bleibe bei Ian. Ihr seht angespannt aus und wenn Ihr zu ihm geht, macht ihn das nur umso nervöser.“
Joanna nickte. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie sich über Philipps Anweisung geärgert, doch sie wusste, er hatte recht. So winkte sie Ian aufmunternd zu und nahm neben den anderen Zuschauern auf einer der Bänke Platz, die am Rand des Reitplatzes aufgestellt worden waren. Die Studenten ritten in Abteilungen bestehend aus fünf Reitern. Als Ian auf den Platz einritt, bohrten sich Joannas Fingernägel in ihre Handflächen. Gleichzeitig versuchte sie, ein freundliches Gesicht zu machen, damit er sich nicht erschreckte, sollte er sie ansehen. Der Leiter der Prüfungskommission gab das Startzeichen und die Abteilung setzte sich in Bewegung.
Weitere Kostenlose Bücher