Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
Ian Fragen über seine Geschwister und ihren Aufenthalt gestellt, doch Jake sprach schon weiter.
„Erfreulicher sind die Reaktionen deiner Mitstudenten und deren Eltern. Sie tragen dir nichts nach, im Gegenteil, sie verurteilen das Verhalten deines Vaters. Du musst dir also keine Sorgen machen, wenn du ihnen morgen wieder gegenüber trittst.“ Aufmunternd nickte Jake ihm zu, erhob sich von seinem Stuhl und kam hinter dem Schreibtisch hervor.
Ian deutete das als Endes ihres Gespräches und stand ebenfalls auf, um zu gehen, doch Jake hielt ihn zurück.
„Ian, da ist noch etwas.“ Er zögerte. „Joanna hat dich sehr vermisst – mehr, als sie vielleicht zugeben mag. Ich habe ihr erklärt, ich könnte durchaus verstehen, dass du Zeit für dich brauchst nach dem Auftritt deines Vaters. Allerdings dachte ich, du kehrst spätestens am Neujahrsfest zurück und nicht erst fünf Minuten vor deiner Prüfung.“ Auf seinem Gesicht erschien der Ansatz eines Lächelns. „Was ich sagen will: Es ist gut, dich wieder bei uns zu haben.“
Erstaunt blickte Ian ihn an. Jake musste sich sehr einsam fühlen, wenn er sich über seine Rückkehr freute. Nicht unbedingt der Beginn einer Freundschaft, die er sich mit ihm wünschte, aber immerhin ein Friedensangebot. Er entschied, ihm die Wahrheit zu sagen: „Ich habe das Neujahrsfest auf Lionsbridge verbracht.“
Der Earl wusste sofort, was er damit meinte. Und hätte Ian ihm ein Messer in den Leib gestoßen, hätte dessen Reaktion nicht extremer ausfallen können.
Jake wurde bleich und mit tonloser Stimme erwiderte er: „Galad ist nicht in Lionsbridge.“
„Er ist dort, seit er Greystone verlassen hat. Es ist eine Bedingung seines Vaters, niemanden zu empfangen, der in Verbindung mit Greystone steht.“
„Und wieso durftest du dann hinein?“ Jakes Stimme klang gefährlich ruhig.
„Ich habe mich als Tagelöhner ausgegeben und mich nachts zu Galad geschlichen.“
Die Augen des Earls verengten sich zu Schlitzen. „Über was habt ihr gesprochen?“
„Ich habe ihn nach der Bedeutung des lex patris gefragt.“
Jake atmete hörbar aus und entspannte sich, doch Ian merkte, dass die nächste Frage ihn viel Überwindung kostete. „Hat Galad dir eine Nachricht für mich mitgegeben?“
„Indirekt ja. Ich sollte selbst entscheiden, ob ich dir eine Ansprache, die sein Vater vor den Gästen der Neujahrsfeier gehalten hat, wiedergebe.“ Er blickte Jake fragend an, der nickte. „Der Viscount hat angekündigt, dass Galad im Laufe dieses Jahres heiraten wird.“
Bei diesen Worten schwand alle Kraft aus Jake. „Danke für deine Ehrlichkeit, Ian. Lass mich jetzt alleine, ich muss nachdenken.“
Ian verließ die Bibliothek. Es war schwer zu sagen, welcher der beiden ehemaligen Freunde unglücklicher gewirkt hatte: Jake oder Galad. Gedankenversunken schloss er die Tür und stieß beinahe mit Joanna zusammen.
„Ist mein Bruder dort drinnen?“, fragte sie ihn freundlich.
„Ja, aber bleib besser draußen.“
„Warum?“
„Ich habe Jake mitgeteilt, dass ich das Neujahrsfest zusammen mit Galad auf Lionsbridge verbracht habe.“
„Oh je.“ Besorgt sah sie ihn an. „Erzählst du mir davon?“
„Es gibt nicht viel zu berichten“, erwiderte er knapp. „Galad war die ganze Zeit in Lionsbridge und will nicht zurückkommen. Allerdings wusste er nichts von Jakes Besuch.“ Er winkte ab. „Joanna, ich bin sehr müde von der Reise, wir reden ein anderes Mal weiter.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging in sein Zimmer.
23
Den nächsten Morgen verbrachte Joanna damit, die Vorbereitungen der Dienerschaft für die heute wiederkehrenden Studenten zu beaufsichtigen. Am Mittag ging sie in die große Halle, wo sich neben den wenigen Studenten und Studentinnen, die die Nachprüfungen abgelegt hatten, auch ihr Bruder und Ian befanden. Jake saß bereits am Tisch an der Stirnseite und Ian unterhielt sich in einigem Abstand mit der Köchin Hannah. Joanna nahm neben ihrem Bruder Platz, und kurz darauf setzte sich Ian – auf ein Zeichen Jakes – ebenfalls zu ihnen. Er wirkte sehr verdrießlich.
Wahrscheinlich hatte Hannah ihre gestrige Drohung wahr gemacht und ihm gehörig die Leviten gelesen, dachte Joanna nicht ohne Schadenfreude. Doch sogleich rief sie sich wieder zur Ordnung. Sie hatte einen Entschluss gefasst, den sie unbedingt einhalten wollte. Ian war ihr Freund, und als solcher hatte er es mehr als verdient, dass sie zu ihm hielt. Auch wenn er
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