Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
wünschte, er könnte das über seine Gefühle für Joanna sagen. Denn was war Liebe wert, wenn sie sich nicht erfüllen konnte? Nichts. Er musste seine Liebe für sie einschließen wie der Frost die Bäume, denn sie war sinnlos geworden ... Allerdings gab es ein Problem: So wahrscheinlich es war, dass Joanna ihn für sein Verschwinden mit Verachtung strafte, bestand doch die Möglichkeit, dass sie es nicht tat. Ian seufzte. Er kannte sie inzwischen gut genug. Sie würde seine Bedenken einfach mit einem Schulterzucken abtun und ihm weiterhin freundschaftlich zugetan sein. Aber diesmal war es nicht so einfach, zu viel stand für sie auf dem Spiel! Entschieden schüttelte er den Kopf. Er musste Joanna unbedingt auf Distanz halten. Auch wenn es bedeutete, die Bindung, die zwischen ihnen bestand, unwiederbringlich zu zerstören – es war ihre einzige Chance und er war es ihr schuldig. ‚ Ich vertraue dir bedingungslos, Ian‘, hatte sie einst zu ihm gesagt.
Nun, bald nicht mehr.
22
Joanna saß am Tisch in der Küche der Burg und sah dem geschäftigen Treiben hinter dem Herd zu. Heute war der Tag der Nachprüfung – und er war immer noch nicht zurück. Sie bemerkte, dass Hannah schon geraume Zeit neben ihr stand. Viel länger, als man brauchte, um einen Becher Wein einzuschenken. Freundlich blickte sie die Köchin an, die die Aufforderung sofort verstand.
„Lady Joanna, wird Lord Darkwood -”
„ Master Ian “, verbesserte sie. Den Fehler, Ians Enterbung zu ignorieren, durften sie nicht wiederholen.
„Wird Master Ian heute wiederkommen?“, fragte die Köchin hoffnungsvoll.
„Ich weiß es nicht, Hannah“, gab Joanna zu. „Ich hoffe es sehr. Doch wenn er heute nicht kommt, wird er nie mehr zurückkehren.“ Sie lächelte bitter. Wenn der Tag zu Ende ging, ohne dass Ian aufgetaucht war, dann musste sie versuchen aufzuhören, auf seine Rückkehr zu warten. Denn die Ungewissheit zerrte an ihren Nerven. Viel länger hielt sie diesen Zustand nicht mehr aus, sonst würde sie daran zerbrechen.
Die Köchin erahnte ihre Gemütslage. „Falls er zurückkommt, soll er mir bloß nicht in die Arme laufen. Denn ich werde ihm sehr deutlich sagen, was ich von seinem ungehörigen Fernbleiben halte.“ Sie tätschelte Joanna aufmunternd die Schulter. „Es wird schon alles in Ordnung kommen.“
Die Nachprüfungen fanden über den Tag verteilt statt, und Joanna unterstützte Jake bei der Durchführung. Am späten Nachmittag betraten sie zusammen mit den Mitgliedern der Prüfungskommission die Waffenhalle. Zwei Studenten, die die Zwischenprüfung im Schwertkampf aufgrund einer schweren Erkältung nicht hatten ablegen können, warteten dort bereits. Ian war nicht bei ihnen. Tröstend legte Jake den Arm um sie, doch Joanna hatte sich innerlich bereits damit abgefunden, dass er nicht mehr kommen würde. Sein Schwert, das sie in ihrem Zimmer aufbewahrt und aus der Burg mitgebracht hatte, würde sie in Jakes Truhe in die Waffenkammer bringen. In diesem Moment hörte sie wie die Tür der Waffenhalle sich öffnete. Sie drehte sich um und erkannte die vertraute Silhouette sofort. Eine Woge der Erleichterung durchfloss Joanna, gefolgt von einem aufgeregten Kribbeln. Die Wut, die sie zeitweise über sein Weggehen empfunden hatte, löste sich schlagartig vollkommen auf. Sie war nur noch froh, dass er zurückgekommen war – zu ihr zurückgekommen war! Strahlend lief sie auf ihn zu.
Ian kam ihr entgegen und blickte sie freundlich an. Doch als Joanna näher kam, stutzte sie: Das Lächeln auf seinen Lippen erreichte nicht seine Augen. Ians wundervolle, dunkle Augen, die sie immer mit einem warmen Glanz angesehen hatten, blieben kalt. Das hatte sie noch nie zuvor bei ihm erlebt und es irritierte sie. Doch dann verscheuchte sie diesen Gedanken. Vielleicht dachte er gerade daran, was das letzte Mal geschehen war, als er in dieser Halle gestanden hatte. Und das waren fraglos keine schönen Erinnerungen. Schließlich stand sie vor ihm. „Du bist wieder da.“ Voller Glück sah sie ihn an.
„Ich will meine Ausbildung in der Akademie zu Ende bringen.“
Joanna nickte, enttäuscht über diese unpersönliche Antwort. Sie wartete auf eine weitere Erklärung seinerseits, doch er schwieg. Die Waffe in ihrer Hand fiel ihr wieder ein. „Ich … ich habe dein Schwert mitgebracht. Du bist gleich dran.“
„Danke.“ Er nahm es ihr aus der Hand und ging zum Tisch der Prüfungskommission in der Mitte der Halle.
Fassungslos
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