Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
nichts Schlimmes. Es ist alles in Ordnung.“
„Du hältst deinen Arm in einer Schonhaltung. Begleite mich bitte in die Apotheke, ich möchte es mir ansehen“, erwiderte sie nun ihrerseits leicht gereizt.
„Nein! Gerade habe ich dir erklärt, dass es mir gut geht. Willst du es nicht verstehen oder kannst du es nicht? Ich habe deine Hilfe nicht nötig!“ Er trat auf sie zu und Joanna wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als er sie mit zusammengezogenen Brauen fixierte. „Seit ich in diese Burg gekommen bin, läufst du mir hinterher wie eine alte Gouvernante. Hör endlich auf damit, ich ertrage es nicht länger!“
Joanna erbleichte. „Dann bekomm eben Wundfieber, ist mir doch egal!“, rief sie, damit er nicht merkte, wie sehr sie seine Worten trafen. Sie eilte an ihm vorbei, die Treppe hinauf in die Apotheke und knallte die Tür hinter sich zu. Jetzt endlich kannte sie Ians wahre Meinung über sie! Tränen brannten in ihren Augen und sie ballte die Hände zu Fäusten. Seine Freundschaft zu ihr war nichts als eine Lüge gewesen, von Anfang an nur ein Mittel zum Zweck.
Warum hatte sie nicht auf ihren Bruder gehört, als er sie gebeten hatte, Abstand zu ihm zu halten? Nein, sie hatte es selbstverständlich besser gewusst, und sich Ian geradezu an den Hals geworfen. Sie hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass er sie nun so respektlos behandelte. Joanna versetzte einem Eimer, der auf dem Boden stand, einen Tritt. Aber was, wenn Ian wegen seiner Verletzung furchtbare Schmerzen litt und deshalb schlecht gelaunt gewesen war? Sie schnaubte. Die Entschuldigungen, die sie sich für ihn ausdachte, glaubte sie selbst nicht mehr. Erneut loderte Zorn über sein unausstehliches Benehmen in ihr auf. Ihretwegen könnte er nicht nur Wundbrand, sondern gleich die Pest bekommen! Doch so verlockend die Vorstellung war, dass Ian vor Krankheit siechend in seinem Bett lag – ihre Stellung als Heilkundige zwang sie zum Handeln. Joanna verdrängte jegliche Gefühle und dachte nach.Ians Wunde hatte sich bereits entzündet, dessen war sie sich sicher. Aber nach dem Vorfall eben würde er niemals zu ihr kommen, um sich behandeln lassen – was jedoch dringend notwendig war. Sie begann eine Salbe zu mischen, die die Entzündung hemmen würde, und packte sie zusammen mit Verbänden und einer Armschlinge in ein Körbchen, das sie vor seine Tür stellen wollte. Mehr konnte sie nicht tun, schließlich hatte er sich ihre Hilfe ausdrücklich verbeten.
Joanna verließ die Apotheke, stieg den Treppenturm hinunter und ging in den Westflügel. Sie war fast bei seiner Zimmertür angekommen, als sie hörte, wie im Raum jemand mit Ian sprach – eine weibliche Stimme! Sie trat vorsichtig näher, stellte den Korb ab und lauschte. Drinnen wurde laut gelacht, dann herrschte Stille. Sie lief zurück zum Treppenturm und versteckte sich dort. Als sie das Geräusch der Türklinke vernahm, spähte sie um die Ecke.
Ein Dienstmädchen trat aus Ians Zimmer heraus in den Gang. Sie entdeckte das Körbchen und reichte es ihm, dann verschwand sie immer noch lachend in Richtung Küche.
Alle Farbe wich aus Joannas Gesicht. Das durfte nicht wahr sein, er hatte eine Affäre mit einer Magd! Hoffentlich hatte er das Verhältnis erst nach ihrer gemeinsamen Nacht begonnen, allerdings machte das inzwischen auch keinen Unterschied mehr.
Am Abend verkündete Jake beim Essen in der großen Halle ihre Abreise. Am Morgen darauf begleitete er Joanna zur Kutsche, die sie und ihre Zofe zu Tante Sophie bringen würde. Unauffällig blickte sie sich auf dem Vorplatz der Burg um. Entgegen aller Vernunft hoffte sie, Ian würde kommen und sich für sein Benehmen der letzten Tage entschuldigen. Er hatte doch gehört, dass sie Greystone für mehrere Wochen verlassen würde – ein guter Anlass, die Streitigkeiten zwischen ihnen zu bereinigen. Aber er war nirgendwo zu sehen und sie stieg seufzend ein.
Die Pferde hatten sich bereits in Bewegung gesetzt, als Joanna ihn schlussendlich doch noch entdeckte. Mit einer Handvoll kichernder Studentinnen lief er in Richtung der Ställe. Ihre vorbeifahrende Kutsche konnte ihm unmöglich entgehen, doch er drehte sich nicht einmal um, um ihr zum Abschied zu winken. In diesem Moment gab Joanna auf. Sie ertrug es nicht mehr länger, von ihm enttäuscht zu werden. Zwei Monate lang hatte sie gewartet, aber nun war der Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr konnte, sonst würde sie sich selbst dabei zu Grunde richten. Der Mann, der am Tag
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