Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
der Nachprüfung zurück in die Burg gekommen war, war nicht der, in den sie sich einst verliebt hatte. Es war bitter, sich dies eingestehen zu müssen, aber Ian hatte sich vollkommen verändert und sie hatte ihn verloren.
Ian blieb stehen und sah der Kutsche nach, als sie Greystone verließ. Er konnte das Gefühl der Erleichterung nicht unterdrücken. Die Qualen der letzten Wochen hatten ein Ende. Es war eine von Jakes besseren Ideen gewesen, Joanna zu Tante Sophie zu schicken. Sie hatte eine Auszeit verdient. Und auch er selbst fühlte sich völlig ausgelaugt. Mehr als einmal war er nah dran gewesen, ihr alles zu beichten. Sie hätte ihm verziehen und sich bedingungslos an seine Seite gestellt. Alleine schon ihre Reaktion auf sein unmögliches Benehmen bestätigte ihn in dieser Überzeugung. Sie hatte sich von seinem gemeinen Verhalten nicht abschrecken lassen und sich immer wieder um ihn bemüht, wie er es befürchtet hatte.
Und so hatte er sein grausames Spiel mit ihr fortgesetzt bis zu dem traurigen Höhepunkt gestern vor der großen Halle. Im Nachhinein hatte er sich seiner verletzenden Worte furchtbar geschämt.
„Ian, träumst du? Wir warten auf dich.“ Elaines helle Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
Er seufzte. Mit Joannas Abreise war die Posse mit den Studentinnen zum Glück nicht mehr notwendig. Er würde das Beisammensein mit ihnen drastisch einschränken mit dem Verweis auf die bevorstehenden Prüfungen. Das war auch dringend nötig, da einige der jungen Frauen ihm immer aufdringlicher eindeutige Angebote machten, die er niemals annehmen wollte oder konnte. Doch je mehr er sich zurücknahm, desto aufreizender verhielten sie sich. „Elaine“, rief er zurück, „ich komme heute nicht mit. Mein Arm schmerzt wieder stärker, ich werde in die Apotheke gehen.“ Das war keine Ausrede, sondern wirklich seine Absicht. Er hatte die Schlinge nicht getragen, um Joanna zu verärgern. Seinem Arm hatte er damit keinen Gefallen getan. Aber jetzt, da sie fort war, konnte er die Apotheke gefahrlos betreten und sich behandeln lassen.
Während Ian auf die Burg zuging, kehrten seine Gedanken zu Joanna zurück. Hoffentlich hatte er sie endgültig davon überzeugen können, dass sie ihm egal geworden war. Doch im Inneren wusste er, es war vorbei. Er hatte ihre Augen gesehen, als sie gestern vor ihm zurückgewichen war. Aber letztendlich war all das unwichtig: Wenn sie zurückkam, blieben nur noch wenige Tage, bevor er Greystone für immer verließ. Und spätestens dann spielte ihre Haltung ihm gegenüber absolut keine Rolle mehr.
24
Der März war der ruhigste Monat, den Ian jemals in Greystone verbracht hatte, und das, obwohl die Abschlussprüfungen immer näher rückten. Die Tage verliefen gleichförmig, es gab viel zu tun, aber alles geschah ohne jegliche Zwischenfälle. Zu seinem Bedauern hatte er weder von seinen Geschwistern noch von Galad etwas gehört. An eine Audienz beim König glaubte er längst nicht mehr. Der König war im Krieg und hatte demnach andere Probleme, als sich um seine Belange zu kümmern. Jake hatte ihn ebenfalls nicht mehr auf dieses Thema angesprochen. Inzwischen fand sich Ian mit der Tatsache ab, direkt nach der Abschlussfeier als Tagelöhner zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund verlor die bevorstehende Prüfung ihren Schrecken – und ihre Bedeutung. Manchmal war er versucht, sofort die Burg zu verlassen. Aber seine eigene Trägheit und Bequemlichkeit verhinderten das. Er wollte die letzten Tage, die er als Adliger verbringen durfte, ausnutzen. Das Leben danach würde entbehrungsreich genug werden, da konnte er den Luxus ruhig bis zum letzten Moment genießen.
Eine Woche vor Beginn der Prüfungen betrat Jake während des Trainings die Waffenhalle. Ein junger Mann fremdländischen Aussehens begleitete ihn. Jake zog an der Glocke und das Klirren der Schwerter verebbte. „Ich bitte um Aufmerksamkeit für meinen Gast. Das ist Kaylan de Sarona, ein Sekretär des Königs des Südlands. Der König hat Interesse daran, eine ähnliche Einrichtung wie Greystone aufzubauen, und Lord de Sarona soll sich hier alles genau ansehen.“ Er sah sich suchend um, bis er Ian entdeckte. „Übernimmst du es, unseren Gast zu betreuen?“
Ian ärgerte sich. Es war typisch, dass Jake nicht vorher nach seinem Einverständnis fragte, sondern ihn einfach vor vollendete Tatsachen stellte. „Ja, natürlich“, erwiderte er. Während er auf Lord de Sarona zuschritt, betrachtete er ihn. Die
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