Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
normalen Umständen wärst du längst verheiratet. Es ist meine Schuld, dass dem noch nicht so ist, weil ich dich zu sehr mit meinen Aufgaben vereinnahmt habe.“
„Und jetzt soll ich heiraten, um dein Gewissen zu erleichtern?“, fragte sie. „Du bist so leicht zu durchschauen, Jake. Weil du deine eigenen Probleme gerade nicht in den Griff bekommst, lässt du deinen Frust an mir aus.“
Sein Gesicht rötete sich. „Das ist nicht wahr!“
Lady Tamara versuchte, die Wogen zu glätten. „Lady Joanna, Euer Bruder hat recht. In Eurer Kräuterkammer werdet Ihr ebenso wenig einen Mann finden wie im Unterrichtssaal. Ihr müsst Euren Lebensstil dringend ändern.“
Doch die Worte der Hofdame machten Joanna nur noch wütender. „Das sehe ich anders.“ Sie starrte Jake verächtlich an. „Aber interessiert es dich überhaupt, was ich denke? Ich will meine eigenen Entscheidungen treffen!“
„Verdammt nochmal, Joanna, das ist doch das Problem!“, rief er. „ Du hast keine eigenen Entscheidungen zu treffen! Ich habe dir Freiheiten gewährt, die du niemals hättest haben dürfen. Das Einzige, was von dir erwartet wird, ist, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Und das ist zurzeit alles, was mich interessiert.“
Joanna war erschüttert. So hatte Jake niemals zuvor mit ihr gesprochen, geschweige denn, dass er sie jemals angeschrien hatte. „Es ist schön zu erfahren, wie du wirklich über mich denkst.“ Es hatte spöttisch klingen sollen, doch ihre Unterlippe zitterte.
Jake fuhr sich über sein Gesicht. „Verzeih mir, ich habe vollkommen die Beherrschung verloren. Ich wollte dich nicht verletzen, aber du musst einsehen, dein Leben kann so nicht weitergehen. Deine Arbeit ist für mich von unschätzbarem Wert, doch sie hat dazu geführt, dass du in dieser Zeit keinen einzigen Heiratsantrag bekommen hast.“ Er ging zu ihr und legte seine Arme um sie. Seine Stimme klang weich, als er weitersprach: „Joanna, du bist alles, was ich habe. Und ich will, dass du glücklich bist. Deshalb musst du heiraten und Greystone verlassen.“ Versöhnlich lächelte er sie an. „Ich weiß doch, du wünschst dir einen Ehemann und willst nicht den Rest deines Lebens mit einem Scheusal wie mir verbringen. Bitte nimm Lady Tamaras Hilfe an, damit du wieder eine Aussicht hast, einen Mann zu finden.“
„Und wenn ich mich weigere, suchst du mir dann einen aus?“
Er seufzte. „Es wäre mir lieber, du würdest die Wahl selbst treffen.“
Joanna löste sich aus seinen Armen und ließ sich auf einen Stuhl fallen, denn sie merkte, ihre Beine würden sie nicht länger tragen. Jake war ihr Vormund und konnte über sie bestimmen. Diese Tatsache hatte sie in den letzten Jahren verdrängt, da er sie es nie hatte spüren lassen – bis heute. Sie schluckte. Das Wissen, ihr jetziges Leben aufgeben zu müssen, schmerzte sie sehr. Und in einem Punkt hatte ihr Bruder sogar recht: wären ihre Eltern nicht gestorben, hätte sie es nie anders gekannt. Leider lag genau da der Haken. Sie war nicht mehr das naive Mädchen, das sie vor vier Jahren gewesen war. Sie hatte sich verändert und schätzte ihre Freiheit und Selbständigkeit. Warum nur war sie kein Mann? Dann könnte sie in Greystone bleiben, ihr Leben weiterführen und Jake als Berater zur Seite stehen. Doch sie war kein Mann. Sie war eine Frau und als solche wurde ihr kein eigenständiges Leben zugestanden. Jake hatte seinen Standpunkt klar gemacht, und sie musste sich seinen Entscheidungen fügen, ob sie ihr gefielen oder nicht. Entweder sie selbst wählte ihren zukünftigen Gemahl aus oder er würde es tun. „Was soll ich machen?“, fragte sie schließlich resigniert.
„Das Leben wieder aufnehmen, das du vor vier Jahren so abrupt beenden musstest“, antwortete er. „Wann hast du das letzte Mal Laute gespielt, wann gesungen? Deine Talente sind vollkommen in Vergessenheit geraten. Nutz jetzt die Gelegenheit, sie wieder aufzufrischen.“
„Außerdem“, Lady Tamara tätschelte Joannas Arm, „müsst Ihr auch all Eure Pflichten als Burgherrin erfüllen.“
„Das darf ich also noch.“ Joanna schob den Teller, der vor ihr stand, beiseite. Der Appetit war ihr vergangen. Es passte ihr nicht, auf den Haushalt beschränkt zu werden und die Führung der Apotheke und des Unterrichts verloren zu haben.
Jake sah sie inständig an und sie nickte stumm. Lady Tamara war hochzufrieden: „Das ist der richtige Weg. Bald seid Ihr wieder eine begehrenswerte, attraktive und gesellschaftlich
Weitere Kostenlose Bücher