Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
geachtete Frau.“
Und geistig vollkommen verblödet , fügte Joanna in Gedanken hinzu. Hätte sie nicht das Korsett getragen, sie wäre vor lauter Verzweiflung auf ihrem Stuhl zusammengesunken.
Der Rest des Mittagessens verlief schweigend. Zurück auf ihrem Zimmer verordnete die Hofdame Joanna einen Mittagsschlaf. Und zu ihrer eigenen Verwunderung schlief sie tatsächlich ein, obwohl sie so aufgewühlt war. Nachdem Lady Tamara sie geweckt hatte, musste sie sich umziehen, ein Kleid für die angenehmen Stunden des Nachmittags , wie die Hofdame betonte. Als nächstes ordnete sie Lautenspiel an. Joanna erschrak – sie hatte ewig nicht mehr gespielt. Das konnte nur schiefgehen! Und wirklich, Lady Tamara war mehr als entsetzt über ihre Darbietung. Allerdings zwang sie sie nicht zum Weiterüben, denn in der großen Halle wartete eine Nachbarin, die von der Hofdame zu einem Besuch eingeladen worden war. Joanna stöhnte innerlich auf, als sie erfuhr, um wen es sich handelte. Mit dieser Dame hatte sie absolut keine Gemeinsamkeiten. Doch auch diese Stunden gingen an ihr vorüber und ehe sie sich versah, stand sie wieder vor dem Spiegel und wurde erneut umgezogen, diesmal zum Abendessen. Kaum war sie fertig, klopfte es an der Tür. Jake stand im Flur, um sie abzuholen. Entgegen ihrer Erwartungen führte er sie nicht in die Bibliothek, sondern in die große Halle. Hoffnung flackerte in ihr auf, endlich mit Ian reden zu können. Doch mit Jake an ihrer Seite war das unmöglich. Sie sah Ian nur beim Hinausgehen und zwinkerte ihm unauffällig zu. Den Rest des Abends verbrachte Joanna bei einem Konzert, das die Studentinnen gaben. In Gedanken war sie jedoch weit weg.
Lady Tamara bemerkte ihren abwesenden Blick. Tröstend streichelte sie ihre Hand. „Habt Geduld, Lady Joanna. Bald dürft Ihr auch vorspielen.“
14
Joanna lag in ihrem Bett und betrachtete die Schatten, die die flackernde Kerze an die Wand warf. Ihre Gedanken kreisten um den Streit mit Jake am Mittag und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Die nächsten Wochen würden furchtbar werden. Sie wusste jetzt schon, dass sie es nicht zufriedenstellen würde, ihren Alltag nur mit schönen Künsten, dem Anziehen und Ausziehen von Kleidern und irgendwelchen Damengesellschaften zu verbringen. Und die Aufgaben, die sie als Burgherrin zu erfüllen hatte, waren keine große Herausforderung für sie.
Für ihre Zukunft als verheiratete Frau schwante ihr ebenfalls nichts Gutes. Sollte sie wirklich einen Ehemann finden, würde sich auch dieser nicht für ihre Meinung interessieren, sondern erwarten, dass sie sich ihm widerspruchslos unterordnete. Sie seufzte. Es tat weh zu erkennen, dass niemand sie annehmen würde, wie sie war – weder ihr eigener Bruder noch ihr zukünftiger Gemahl. Wütend schlug Joanna auf ihr Kopfkissen ein. Natürlich wollte sie heiraten, aber sie wollte sich dabei nicht selbst verlieren. Doch darauf würde es hinauslaufen. Am liebsten hätte sie sich die Decke über den Kopf gezogen wie ein kleines Kind, als plötzlich ein leises Klopfen erklang. Wer wollte so spät noch etwas von ihr? Joanna stand auf und war schon auf dem halben Weg zur Tür, da klopfte es wieder. Verwirrt blieb sie sehen. Das Geräusch kam nicht von der Tür. Klopfte jemand ans Fenster? Unmöglich, ihr Zimmer lag im Obergeschoss. Sie drehte sich zum Fenster um – und fuhr zusammen. Draußen stand eine Gestalt. Im ersten Moment war Joanna überzeugt, dass es Entführer waren. Doch dann erschien es ihr seltsam, dass diese anklopften. Sie nahm all ihren Mut zusammen, durchquerte den Raum und öffnete den Fensterflügel. Ian stand vor ihr. „Du hast mich erschreckt!“, rief sie. „Was machst du hier?“
„Es ist Samstagabend und ich hatte versprochen, dir Kampfunterricht zu geben.“
Schuldbewusst sah sie ihn an. „Das hatte ich ganz vergessen.“
„Darf ich trotzdem reinkommen? Hier draußen ist es etwas zugig.“
Joanna nickte und er schwang seine Beine über den Fensterrahmen. Helfend griff sie nach seinem Arm und stutzte. „Was ist das?“, fragte sie, als sie den Verband unter seinem Hemd ertastete. „Das war gestern Abend noch nicht da.“
„Frag deinen Bruder.“
„Oh nein, nicht schon wieder. Ich komme gar nicht mehr hinterher, mich für ihn zu entschuldigen. Was hat er diesmal getan?“
„Das war seine Art, mir heute Morgen in der Waffenhalle zu zeigen, dass es gesünder für mich wäre, Abstand zu dir zu halten.“
„Du lässt dich davon nicht
Weitere Kostenlose Bücher