Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
Vorhänge zu und stellte die Arbeitstische zur Seite. Schließlich standen sie sich auf der freigeräumten Fläche gegenüber. Erwartungsvoll schaute Joanna ihn an.
Das war der Moment, vor dem Ian sich gefürchtet hatte: Er musste sie anfassen. Das dünne Nachthemd war schon schlimm genug gewesen. Es hatte mehr von ihrem Körper preisgegeben, als für ihn gut war. Auch die Kletterpartie hatte ihm einiges an Beherrschung abverlangt und jetzt stand er alleine mit ihr im Kräuterhaus und musste sie berühren. Doch da er schon eine Woche lang über dieses Problem nachdachte, hatte er eine Lösung gefunden. Er würde sich vorstellen, Joanna sei ein Mann – ein Student, dem er Nachhilfeunterricht gab. Wie zum Beispiel Laurentin. So einfach war das!
„Fangen wir an, Ian?“, fragte Joanna ungeduldig.
Statt einer Antwort trat er einen Schritt auf sie zu, griff sie an der Taille und warf sie über seine Schulter. Kopfüber hing Joanna auf seinem Rücken und zappelte wild mit den Beinen. Ian legte eine Hand auf ihr Gesäß, um sie besser festzuhalten. Er spürte ihre weichen Rundungen unter seinen Fingern und schlagartig wurde ihm klar, die Vorstellung, sie sei ein Mann, würde ihm nicht gelingen. Verzweifelt versuchte er, die Hitze, die in seinem Körper aufwallte, zu ignorieren. Er wollte doch, dass sie lernte, sich vor Entführern zu schützen. Das war die rettende Idee! Ian schloss die Augen und stellte sich vor, Joanna befände nicht auf seiner, sondern auf der Schulter eines Entführers. Ein ungutes Gefühl kam in ihm auf, und das reichte aus, dass er seine Konzentration nicht verlor. Jetzt konnte er sie wirklich unterrichten.
„Ian, lass mich sofort runter!“
„Nein.“ Als Reaktion auf seine Antwort strampelte sie heftiger mit den Beinen und Ian verstärkte seinen Griff um ihre Füße.
Nun trommelte Joanna mit ihren Fäusten auf seinen Rücken. „Bitte, mir ist schon ganz schlecht!“
„Dann sieh zu, dass du dich befreist.“
„Das ist gemein. Im Gegensatz zu deinen Dorffrauen führe ich kein Messer mit mir.“
Er beschloss, ihr einen Tipp zu geben. „Stimmt. Du nicht.“
Es dauerte einen Moment, dann zog Joanna das Messer aus seinem Hosenbund heraus. „Geschafft!“, jubelte sie.
„Na ja, du müsstet jetzt auch zustechen.“
Ihre Begeisterungsrufe erstarben. „Wie meinst du das?“
Seufzend hob Ian sie von seiner Schulter zurück auf die Erde. „Joanna, es reicht nicht, ein Messer zu haben. Du musst es auch benutzen!“ Sie sah ihn unsicher an und er fuhr eindringlich fort: „Wenn dich jemand auf diese Weise packt, und du bekommst sein Messer in die Hand, dann musst du sofort zustechen. Du darfst keinen Moment zögern!“
Unglücklich verzog sie das Gesicht. „Wohin soll ich ihn treffen?“
„Dahin, wo du den größtmöglichen Schaden anrichtest und nicht gegen einen Knochen triffst.“
„Und wo genau …?“
„Stich unterhalb der Rippen zu und zieh das Messer sofort wieder heraus. Dein Entführer sollte daraufhin zusammenbrechen und du bist frei. Verstanden?“
Sie runzelte die Stirn. „Ja, ich glaube schon …“
„In Ordnung“, unterbrach er sie und lächelte, „wir fangen ganz von vorne an.“ Mit diesen Worten begann er, sein Hemd aufzuknöpfen. Beim Ausziehen glaubte er ein Keuchen von Joanna zu hören, doch sicher war er sich nicht. „Zeig mir die Stelle, die ich dir eben beschrieben habe.“ Er drehte sich um und Joanna tippte mit dem Zeigefinger auf seinen Rücken.
„Richtig“, sagte er. „Und jetzt nochmal, aber schneller.“ Sie gehorchte und Ian nickte. „Gut.“ Er ging an ein Regal, nahm einen Stößel aus einem der Mörser heraus und gab ihn ihr in die Hand. „Das ist dein Messer“, erklärte er. Und ohne Vorwarnung schnappte er sie und warf sie auf seine nackte Schulter.
Vor lauter Schreck ließ Joanna den Stößel fallen und Ian setzte sie auf die Erde zurück. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich stelle mich furchtbar blöd an.“
„Nein, dir fehlt nur die Übung.“ Er hob den Stößel auf und reichte ihn ihr. „Wenn wir das hundert Mal gemacht haben, klappt das wie im Schlaf.“
„Hundert Mal?“
„Ja, du musst es können, ohne darüber nachzudenken.“
Sie seufzte. „Natürlich. Lass uns weitermachen.“ Diesmal behielt Joanna den Stößel fest in ihrer Hand und traf sogar die richtige Stelle. Nachdem sie das Ganze mehrmals wiederholt hatten, stellte sie fest, dass sie tatsächlich sicherer wurde. Trotzdem ging ihr von dem ganzen
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