Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
antwortete sie Hannah: „Wenn du den Gewürzhändler siehst, sag ihm, ich nehme sein Angebot an.“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der rundlichen Köchin und Joanna wusste, Ian würde ihre Botschaft umgehend erhalten.
Die Zeit bis zum nächsten Abend verging für Joanna quälend langsam. Außerdem hatte Lady Tamara das Korsett enger geschnürt, und ihre Rippen schmerzten bei der leichtesten Berührung. Das durfte Ian keinesfalls bemerken, sonst würde er das Training sofort beenden. Und das durfte nicht passieren, denn die Aussicht darauf war das Einzige, was Joanna den Tag überstehen ließ. Kaum hatte die Zofe, die ihr beim Ausziehen behilflich gewesen war, das Zimmer verlassen, zündete Joanna eine Kerze an und stellte sie auf die Fensterbank. Anschließend zog sie sich eines ihrer alten Kleider an, legte sich aufs Bett und wartete. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis sie das ersehnte Klopfen am geöffneten Fensterflügel hörte. Schnell sprang sie auf und lief zu Ian. „Endlich bist du da! Ich hätte diese Warterei keinen Moment länger ertragen.“
„Hätte ich um diese Begeisterungsstürme zu meiner Begrüßung gewusst, wäre ich früher gekommen.“ Ian lachte. „Bis du bereit? Ich habe viel mit dir vor.“
Sie nickte und er half ihr, aus dem Fenster zu steigen. Kurz darauf waren sie bereits am Efeu hinabgeklettert. „Hast du dich an die Höhe gewöhnt?“, erkundigte er sich, als er sie auf der Erde absetzte.
„Ja, ich bin selbst erstaunt, dass es mir nichts mehr ausmacht.“ Das war eine glatte Lüge. Die Höhe empfand sie immer noch als furchtbar. Dass sie sie ohne Probleme ertrug, war allein der Tatsache geschuldet, dass sie vollkommen abgelenkt war. Es war ihr nicht möglich, Angst zu haben und es gleichzeitig zu genießen, ganz nah bei ihm zu sein.
„Was üben wir heute?“, fragte Joanna, nachdem sie die Tür des Kräuterhauses abgeschlossen hatte.
Ian reichte ihr den Stößel und warf sie über seine Schulter.
„Eine richtige Antwort wäre auch nett gewesen“, sagte sie und platzierte ihren Messerersatz schwungvoll unter seinen Rippen.
„Wir müssen deine Reflexe trainieren. Am besten wäre es, ich würde dich tagsüber unerwartet überfallen, damit du lernst, zu handeln, ohne nachzudenken.“ Er hob sie wieder herunter.
Joanna kicherte. „Wenn du mich tagsüber in der Burg über deine Schulter wirfst, brauche ich keine Reflexe. Lady Tamara würde meine Verteidigung übernehmen. Und ich behaupte, dass nicht einmal du gegen eine wütende Heiratsvermittlerin eine Chance hast.“
„Ah, die liebe Lady Tamara. Das erinnert mich daran, was ich heute Neues mit dir üben wollte: erwürgen.“
Bevor sie fragen konnte, ob er das tatsächlich ernst meinte, hatte er schon beide Hände um ihren Hals gelegt. Außerstande zu sprechen, begann sie um sich zu schlagen und nach ihm zu treten. Doch es hatte keinerlei Wirkung auf ihn, im Gegenteil, sein Griff wurde fester. Joanna ging rückwärts und versuchte, seine Hände von ihrem Hals wegzuziehen – es gelang ihr nicht. Panik stieg in ihr auf. In diesem Moment ließ Ian sie los.
„Die einzige Möglichkeit, den Würgegriff zu lockern, ist durch eine Hebelwirkung deiner Hände“, ließ er sie wissen. „Wichtig ist auch, dass du zuerst die Schultern hochziehst und dein Kinn auf die Brust drückst.“
„Warum verrätst du mir die Tricks immer erst nachdem ich vorher alles falsch gemacht habe?“
„Der Lerneffekt ist größer“, antwortete er ungerührt.
„Oh, gut. Das merke ich mir. Bete darum, dass ich euch nie wieder in Kräuterkunde unterrichte. Sonst verabreiche ich euch erst das Gift und händige euch danach das Rezept für das Gegenmittel aus.“
Er lachte. „Dafür darfst du mich jetzt würgen, damit ich dir zeigen kann, was du mit deinen Händen und deinen Armen machen musst.“
Sie übten, bis Joanna sich erschöpft auf den Boden sinken ließ. „Ist das anstrengend! Am schwierigsten finde ich es, die aufkommende Angst zu unterdrücken.“ Neugierig schaute sie Ian an, der sich neben sie gesetzt hatte. „Ich habe mir bisher nie Gedanken darüber gemacht, aber geht es dir beim Kämpfen genauso?“
Er nickte. „Man kann der geschickteste Kämpfer der Welt sein, aber wenn man seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat, nützt das gar nichts. Vieles läuft beim Kämpfen reflexartig ab, trotzdem muss man seine nächsten Schritte planen und am besten noch die Vorgehensweise seines Gegners richtig einschätzen.
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