Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
Dazu braucht man einen klaren Verstand und darf sich eben nicht von seinen Gefühlen beherrschen lassen.“
„Das hört sich kompliziert an.“
„Aber es ist der Schlüssel zum Erfolg – das will ich auch Laurentin und den anderen vermitteln. Reine Körperkraft nützt nichts, wenn man vergisst, zu denken.“ Er tippte sich an den Kopf. „Deshalb bin ich überzeugt, dass das Training dir etwas bringt.“
„Na ja, mit dem vorausschauenden Denken bin ich mir nicht so sicher.“
„Das wird noch.“ Er klopfte ihr auf den Arm. „Außerdem liegt das Talent dafür in der Familie.“
„Wie meinst du das?“
„Dein Bruder beherrscht diese Art von analytischem Kampf in Vollendung. Er braucht nur Sekunden, um die Schwachstellen seines Gegners herauszufinden und auszunutzen.“ Ian verzog das Gesicht. Er hatte diese herausragende Fähigkeit Jakes mittlerweile oft genug am eigenen Leib erfahren dürfen. „In dieser Beziehung habe ich noch nie jemand besseren gesehen.“ Er lächelte. „Sobald du diese Begabung in dir gefunden hast, habe ich nichts mehr zu lachen.“
Bevor Joanna etwas erwidern konnte, hielt er sanft ihren Kopf fest. „Oh nein, das ist ärgerlich. Auf deinem Hals ist ein roter Fleck vom Würgen.“
„Das ist doch nicht schlimm.“
„Und wie erklärst du ihn morgen Lady Tamara?“ Vorsichtig rieb er mit seiner Hand über die rote Stelle, doch sie verschwand nicht. Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn. Er nahm eine von ihren Locken, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte, und drapierte sie über dem Fleck. Dann legte er seinen Kopf prüfend zur Seite. „Wenn du dich nicht mehr bewegst, könnte es so klappen.“
Sie lachte. „Vergiss es, Lady Tamara steht auf Hochsteckfrisuren. Aber meine Bernsteinkette könnte das Problem lösen.“
„Sie würde auf jeden Fall sehr gut zu deinen Augen passen.“
Verwundert sah sie ihn an. Er interessierte sich für ihre Augen? „Ich werde es ihr morgen vorschlagen.“
„Tu das. Ich kann Lady Tamara zwar nicht ausstehen, aber sie hat einen ausgezeichneten Geschmack, was die Auswahl deiner Garderobe angeht.“
„Ich dachte, du bevorzugst Nachthemden“, neckte sie ihn.
„Das habe ich so nicht gesagt.“ Seine Stimme wurde leise. „Du hast noch nie so schön ausgesehen wie an den letzten beiden Abenden in der Halle.“
Joanna schluckte. Ihr Gespräch lief in eine gefährliche Richtung. Er hielt immer noch ihr Haar in seiner Hand und sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Rasch erhob sie sich und Ian folgte ihrem Beispiel.
Kaum stand er, packte er ihr rechtes Handgelenk und zog mit hartem Griff daran. Lady Tamaras Tonfall nachahmend forderte er sie auf: „Und nun, meine Liebe, löse bitte dieses Problem.“
Am nächsten Morgen erwachte Joanna mit starken Schmerzen. Ihr Unterleib zog sich krampfartig zusammen und sie stöhnte. Es war die Zeit ihrer monatlichen Blutung, doch niemals hatte sie dabei ein solches Unwohlsein verspürt. Sie setzte sich auf und schlug die Decke zurück – das Bettlaken war blutig. Die nächste Schmerzenswelle überrollte sie und sie ließ sich wieder auf ihr Kopfkissen sinken. Die Vorstellung, wie Lady Tamara ihr das Korsett festschnürte, ließ sie erneut aufstöhnen. Sie brauchte dringend einen Kräuteraufguss gegen die Krämpfe. Vorsichtig streckte sie ihre Hand nach der Glocke auf ihrem Nachttisch aus.
Kurz darauf erschien ihre Kammerzofe in Begleitung von Lady Tamara. Die Hofdame nickte bedächtig. „Ihr werdet heute auf dem Zimmer bleiben, Lady Joanna. Jede echte Dame ist in dieser Zeit unpässlich.“
Joanna nickte erleichtert. Dann hielt sie bestürzt inne. Was sollte sie den ganzen Tag über tun? Als sie Lady Tamara diese Frage stellte, lächelte die Hofdame milde. „Ich werde Euch Literatur zukommen lassen.“
Mittags saß Joanna entnervt im Bett. Die Krämpfe waren zwar durch den Tee besser geworden, aber immer noch schlimm. Schlimmer hingegen waren Lady Tamaras Bücher – etwas so Anspruchsloses hatte sie lange nicht mehr in den Händen gehabt. Am schlimmsten war allerdings, dass sie Ian für heute Abend würde absagen müssen. Doch mit diesen Schmerzen konnte sie keinesfalls trainieren. Erneut läutete sie die Glocke und beauftragte die Zofe, die Köchin zu ihr zu schicken. Das war der einzige Weg, der ihr einfiel, um ihm unauffällig eine Nachricht zukommen zu lassen.
Die Nachmittagsstunden zogen sich endlos dahin und das Nichtstun frustrierte Joanna. Zum Glück
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