Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
meine … weißt du, wie ein nackter Mann aussieht und was er von dir in der Hochzeitsnacht verlangen wird?“
Joanna musste sich beherrschen, nicht hysterisch aufzulachen. Die Situation war mehr als bizarr. Ihr Bruder war drauf und dran sie über ihre ehelichen Pflichten aufzuklären, während sie mit Ian zusammen im Bett lag. Zum Glück hatte Jake ihn noch nicht entdeckt, aber sie war sich seiner Gegenwart mehr als bewusst. „Jake, ich danke dir für deine Offenheit, aber könnten wir das Thema ein anderes Mal besprechen? Ich bin sehr müde.“
Sanft legte er seine Hand auf ihre Wange. „Es ist keine Schande, wenn dich diese Sache nervös macht. Aber du brauchst dich keinesfalls zu fürchten, ich werde dir alles genau erklären.“
Außer einem Nicken brachte Joanna nichts mehr zu Stande. Jake wünschte ihr eine gute Nacht und verließ das Zimmer. Als die Tür ins Schloss gefallen war, ließ sie sich nach hinten in ihr Kissen sinken.
Ians Kopf tauchte neben ihr unter der Decke auf. Er lag auf dem Bauch, das Kinn auf seine Hände gestützt und grinste sie an. „Warum hast du Jake weggeschickt? Gerade wurde es interessant.“
„Wie kannst du nur lachen? Ich bin tausend Tode gestorben. Wenn er dich entdeckt hätte …“
„Halb so schlimm. Schließlich wäre das Überraschungsmoment definitiv auf meiner Seite gewesen.“
Joanna stöhnte. „Den ganzen Tag über langweile ich mich und dann passiert so etwas.“ Sie blickte Ian an und stellte fest, dass sein Gesichtsausdruck ernst geworden war.
„Jake zwingt dich also, Lady Tamara Folge zu leisten?“
„Er ist mein Bruder, er hat das Recht dazu.“
„Es tut mir leid.“
Verwundert sah sie ihn an.
„Ich hatte dich bei unserem ersten Training so verstanden, dass du dich ihren Maßnahmen freiwillig unterziehst. Deshalb war ich am Ende des Abends so verärgert.“
„Das habe ich bemerkt.“ Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Ich habe mich geschämt, dir die wahren Hintergründe zu nennen. Jetzt kennst du sie. Es … es ist nicht leicht für mich, sie zu akzeptieren.“
„Du liebst deinen Bruder sehr.“ Ein wehmütiger Ausdruck trat auf Ians Gesicht.
„Ich würde alles für ihn tun.“
„Hoffentlich weiß er das zu schätzen.“
Joanna schloss die Augen. Jetzt, da die Anspannung nachließ, spürte sie, wie müde sie tatsächlich war. Dass Ian noch immer neben ihr lag, störte sie nicht. Im Gegenteil, seine Gegenwart und die Wärme, die er ausstrahlte, beruhigten sie. Sie gähnte und merkte, wie sie in den Schlaf abzugleiten drohte. Mühsam öffnete sie die Augen wieder. Ian hatte sich auf die Seite gedreht und betrachtete sie nachdenklich. Die Situation hatte etwas Unwirkliches, fast kam es ihr vor, als träumte sie. „Es ist Jake sehr wichtig, dass es mir gut geht“, sagte sie leise. Sie dachte daran, was ihr Bruder über seine Erfahrungen mit Frauen gesagt hatte. „Wie viele Frauen hattest du schon, Ian?“ Oh Gott, sie hatte diesen Gedanken laut ausgesprochen! Sie wunderte sich über sich selbst – und noch mehr darüber, dass sie eine Antwort bekam.
„Ich? Keine.“
„Du bist fünfundzwanzig. Das glaube ich dir nicht.“
„Du bist genauso alt und hattest auch noch niemanden.“
„Bei mir ist das etwas anderes. Ich bin eine adlige Dame.“
„Und ich bin der ungeliebte Sohn des Barons gewesen. Hätte ich ein Verhältnis mit einer Frau aus dem Dorf angefangen, wäre dies über kurz oder lang meinem Vater zu Ohren gekommen. Meinst du, irgendeiner Frau wäre es das Risiko wert gewesen, den Zorn meines Vaters auf sich zu ziehen?“
Sein Gesichtsausdruck war verschlossen. Joanna strich ihm ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich unter der Decke aus seinem Zopf gelöst hatten.
„Und wenn ich dein Gedächtnis auffrischen darf“, sprach er weiter, „ich sah damals ein bisschen anders aus als heute.“
„Aber du warst trotzdem du.“
Er legte die Stirn in Falten. „Das ist mir zu philosophisch. Ist das ein Zitat aus Galads Büchern?“
„Nein, ich meine deinen Charakter. Du bist nett, humorvoll und hilfsbereit. Das hat mir von Anfang an an dir gefallen.“ Mit halb geschlossenen Augen sah sie ihn an. „Ian, du bist ein wunderbarer Mensch und ich vertraue dir bedingungslos – und wenn das die anderen Frauen nicht erkannt haben, dann waren sie das Risiko nicht wert.“ Sie sah noch, dass er sie verwirrt anblickte, bevor ihr die Augen ganz zufielen.
„Ich gehe jetzt, Joanna“, flüsterte er und stieg aus
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