Greywalker
müssten ihn nicht einmal töten, sondern nur seine Schwäche demonstrieren.«
»Ich höre.«
»Lassen Sie mich erklären, wie das bei uns ist. Man kann uns Vampire mit einem Rudel Wölfe vergleichen; der stärkste wird zum Leitwolf. Aber wenn dieser Wolf Schwächen zeigt, wenn er nicht mehr kann, dann wird er vom Rudel zerfleischt. Er muss stark sein und seine Handlungen sollten stets im Interesse des gesamten Rudels sein. Greifen Sie ihn an, zeigen Sie seine Schwächen, und das Übrige wird das Rudel von selbst übernehmen.«
»Ich verstehe.«
»Ja«, hauchte sie. »Das tun Sie wohl. Sobald Edward wirklich tot ist, bin ich der stärkste Wolf im Rudel. Und natürlich werde ich mich in Dankbarkeit an jene erinnern, die mir geholfen haben.«
Ich spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten, und warf einen seitlichen Blick in das Grau. Etwas Rotes bewegte sich darin. Hastig konzentrierte ich mich wieder auf das Hier und Jetzt, holte tief Luft und schüttelte den Kopf.
Das rote Ding verschwand, löste sich in Luft auf. Ich blinzelte, als müsste ich eine plötzliche Müdigkeit abschütteln, schaffte aber nicht ganz, Alices Stimme aus meinem Kopf zu vertreiben.
»Und was sollte ihn daran hindern, mich zuerst zu töten?«
Sie lachte, und ich versuchte, nicht zusammenzuzucken. »Sie sehen nicht wie eine Bedrohung aus. Wen stört schon das Rascheln eines Insekts? Sobald der Ball einmal ins Rollen gekommen ist, wird es für Edward zu spät sein und auch Ihr Tod würde die Wogen nicht mehr glätten – ganz im Gegenteil. Er wird viel zu beschäftigt sein, um Sie zu zerquetschen. Wenn sich das Rudel erst einmal auf ihn stürzt, wird er in seine Einzelteile zerlegt werden.« Sie hielt inne, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas. Sie bebte vor Erregung und schenkte mir ein besonders unheimliches Lächeln. Ich wendete mich angewidert ab.
»Ich verstehe nicht, wie Cameron von Edwards Untergang profitieren könnte.«
»Durch meine Dankbarkeit«, schnurrte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass man sich auf die Dankbarkeit eines Vampirs verlassen kann. Sehen Sie sich nur Edward an. Wer würde mich dann vor Ihnen schützen?«
Alice knirschte mit den Zähnen. »Ich kann Ihnen versichern, dass Ihnen nichts zustoßen wird, wenn Sie meinen Anweisungen folgen.«
Ich schaffte es, erneut den Kopf zu schütteln. »Ich werde niemanden töten. Ich bin kein Auftragskiller und an politischen Spielchen nicht interessiert.«
Sie beugte sich zu mir. Ihre Augen funkelten. »Und wie sollen Sie dann für mich von Nutzen sein?«
»Ich bin nicht hier, um Ihnen zu helfen, sondern meinem Klienten. Ich werde Edwards Schwächen und Fehler herausfinden und sie an die Öffentlichkeit bringen. Aber der Rest hängt von Ihnen ab. Und dann schulden Sie mir etwas.«
Sie lachte wieder amüsiert und drückte ihre Zigarette heftig im Aschenbecher aus. Dann nahm sie einen weiteren Schluck aus ihrem Glas, wobei sie mich über den Rand hinweg musterte – mit einem eisigen Lächeln auf den Lippen. »Gut. Machen wir es erst einmal so, wie Sie vorschlagen. Aber ich werde Sie nicht aus den Augen lassen.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn und streckte mir die Hand entgegen. »Zeigen Sie mir jetzt Ihre Liste.«
»Welche Liste?«
»Die Liste mit den Namen. Cameron hat Ihnen doch sicherlich eine Liste gegeben, wie sonst wären Sie auf mich gekommen? Her damit!«, erklärte sie fordernd und streckte ihre blutroten Fingernägel nach mir aus.
Notgedrungen zog ich die Liste hervor. Alice ergriff und überflog sie. Ein neues Funkeln war in ihren Augen zu erkennen. »Sehr interessant …« Sie nahm einen Füller aus ihrer kleinen Handtasche und fügte einen weiteren Namen hinzu: Wygan.
»Da«, meinte sie und schob mir die Liste über den Tisch zu. »Fangen Sie mit Carlos an, das sollte den Dreck unter Edwards Stiefeln lösen. Und machen Sie sich keine Sorgen, ich werde Edward in der Zwischenzeit beschäftigen, damit er Sie nicht bemerkt. Schließlich habe ich es versprochen. Wenn Sie erst einmal mit denen da fertig sind, wird es langsam brenzlig für ihn werden.«
Ich stand auf und verließ die Bar. Den ganzen Weg bis zum Lift spürte ich ihren Blick im Rücken, als ob ich in eiskaltes Wasser getaucht würde.
Ich wollte Alices Ratschlag nicht folgen, obwohl mir mein Instinkt sagte, dass es der richtige Weg war. Im Lift nach unten starrte ich auf die Liste. Wie es der dumme
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