Greywalker
zitterte.
Sein Lachen verebbte. »Darauf kannst du wetten! Ich freue mich schon auf den Tag, wenn ich diesem Schweinehund endlich einen Strick um den Hals legen kann.«
»Warum?« Meine Stimme war erstaunlicherweise völlig ruhig.
»Die Geschichte würde dir bestimmt nicht gefallen, wenn du sie überhaupt verstehen würdest. Und wenn ich mich dir anvertraue, Frau des Tageslichts, überschreite ich damit eine Grenze, was die meisten meiner Artgenossen als unverzeihlich empfinden würden.«
»Ich kann natürlich nicht von Ihnen verlangen, dass Sie sich für meinen Klienten ruinieren.« Ich machte Anstalten aufzustehen, erleichtert, verschwinden zu können.
»Was hast du vor?«
»Staub aufwirbeln.«
Carlos runzelte nachdenklich die Stirn. Mir schauderte bei der Vorstellung, was er in Gedanken wohl gerade mit mir vorhatte. In Alices Gegenwart hatte das Grau wie ein heran rollendes Meer gewirkt. Bei ihm ertrank ich förmlich in den Wogen.
»Du wirst niemandem erzählen, was du von mir erfährst.«
Ich kämpfte dagegen an, automatisch zuzustimmen. »Falls es für meinen Klienten nützlich sein könnte, werde ich es ihm mitteilen. Und ich werde alles, was nötig ist, gegen Edward verwenden.«
Sein Blick durchbohrte mich. »Das, was ich dir jetzt erzähle, behältst du für dich, bis du Edward gegenüberstehst.«
Ich schluckte. »Gut, einverstanden«, erwiderte ich mit trockener Kehle. Dann setzte ich mich wieder. Meine Knie schlotterten und mein Herz pochte so laut, dass man es wohl im ganzen Haus hören konnte.
Einundzwanzig
Carlos lehnte sich über den Tisch und fixierte mich mit seinem Blick, sodass ich mich nicht mehr zu rühren wagte. Er sprach mit einer dunklen, intensiven Stimme, die mich zugleich faszinierte und erschreckte.
»Es ist nicht nur das Blut anderer, das einen Vampir am Leben erhält, sondern die darin enthaltene Lebenskraft. Unsere Kraft ist an sich sehr schwach, deshalb müssen wir sie von anderen nehmen oder wir verkümmern zu Schatten, versinken im Wahnsinn und siechen qualvoll dahin, bis uns der wahre Tod ereilt.
Das stärkste Wesen mit der meisten Lebenskraft bietet die beste Lebensqualität. Deshalb lauern wir auch den Kreaturen des Tageslichts auf. Ihr gebt uns so viel auf einmal, dass wir nicht die ganze Zeit mit Jagen verschwenden müssen. Das Opfer muss dabei nicht immer sterben, um uns das zu geben, was wir so dringend brauchen. Ein Vampir benutzt die gewonnene Energie, um das zu ersetzen, was er selbst nicht produzieren kann. Alle Lebewesen brauchen sie. Nur wenige können sie jedoch durch bloßen Willen manipulieren und zu anderen Zwecken gebrauchen.
Wenn die Kraft groß genug ist, kann sie jede Faser, alles Leben in einem verzehren. Dann muss man anderes Leben – anderes Blut – haben, von dem man sich ernähren kann. Wenn eine Tat sehr viel Macht erfordert, dann fordert sie auch viele Leben. Oder das Blut eines Vampirs, in dem sich Leben und Tod miteinander vereinen. Weder Blut noch diese Macht können erzwungen oder von jemand anderem beherrscht werden. Der Preis dafür ist zu hoch. Aber Edward forderte sie trotzdem von mir, riss sie aus mir heraus.
Wir lernten uns in Lissabon kennen. Edward war noch jung, aber sein Ehrgeiz brannte hell wie die Sonne am Äquator. Er heckte Pläne aus, buckelte und trat, um aufzusteigen. Aber das Einzige, was er damit erntete, war der Zorn seiner Artgenossen. Er hatte nur wenige Freunde, und ich – ich Idiot – war einer von ihnen.«
Seine Stimme nahm nun einen anderen Rhythmus an -den Rhythmus früherer Zeiten – und ich spürte, wie sich die Vergangenheit einem grauen Schleier gleich über uns legte.
»Er hatte einen Plan, wie er seine Feinde mit einem Schlag vernichten könnte, aber er benötigte dazu größere Macht als er zu dieser Zeit besaß.«
Seine Worte schienen mich zu erdrücken.
»Er kam zu mir und enthüllte mir seine Absichten. Ich erklärte ihm, dass es viel zu riskant wäre. Das nötige Blut, die vielen Toten, würden auffallen. Außerdem bargen die Zaubersprüche viele Gefahren in sich. Es kam zum Streit zwischen uns. Ich wollte mein Blut nicht für ihn opfern – niemand hätte das getan –, und so gab er schließlich nach und wir einigten uns auf eine geringere Variante, die man mit gewöhnlichem menschlichem Blut vollziehen konnte.
Ich reiste nach Sevilla, um in sicherer Entfernung zu beginnen, die nötige Anzahl von Männern und Frauen einzufangen sowie Materialien zusammenzutragen und einen
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