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Greywalker

Greywalker

Titel: Greywalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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herbeigeführt wird? So etwas passiert doch nicht rein zufällig.«
    Ihre Stimme schwebte zart wie ein Blütenblatt durch den Raum. »Nein, das tut es tatsächlich nicht. Was ich meinte, war, dass er eine schlechte Wahl getroffen hatte. Und sein Timing stellte sich als noch miserabler heraus. Voraussicht ist nicht seine Stärke. Er ist ein Opportunist, und zwar ein sehr guter.«
    »Und Sie?«
    »Was ist mit mir? Ich bin ein Nichts. In einer Gesellschaft, die so klein ist, dass jeder zählt, zähle ich kaum als Mitglied. Ich gehe ins Kino, weil mir die Leute auf der Leinwand gefallen. Ich sorge mich um sie, und sie werden nie älter und sterben – oder bleiben jung und entwickeln sich stattdessen zu Monstern. Sie sind so nett. Sogar die Schurken. Ich mag Leinwandhelden.«
    »Und Ihre Dungeon-and-Dragons-Freunde?«
    »Das sind doch nicht meine Freunde – das sind nur Warme.« Sie blinzelte in Zeitlupe. »Oh, entschuldigen Sie. Das war sehr unhöflich.«
    »Kein Problem, ich schäme mich nicht, eine Warme zu sein. Aber wenn Sie die Leute nicht mögen, warum verbringen Sie dann so viel Zeit mit ihnen?«
    »Ach, sie sind ganz nett. Aber das Spiel ist das wirklich Interessante. Ich bin nun seit drei Jahren in ein und demselben Spiel, nur die Leute ändern sich. Es ist herrlich, sich vorzustellen, dass solche Sachen wie Leben und Tod, Abenteuer und Ehre tatsächlich einen Stellenwert besitzen. Auf jeden Fall ist es besser, als nur herumzuhängen und sich der großen Gleichgültigkeit hinzugeben. Manchmal ist es sogar besser als Filme. Es ist beinahe so, als ob man am Leben ist.
    Und außerdem bin ich da viel wichtiger, als ich es je in der Wirklichkeit war.«
    »Was können Sie mir denn sonst noch so über Edward erzählen?«
    »Nicht viel.«
    »Und über TPM?«
    »TPM? Ach, das war eines seiner Projekte. Ich weiß allerdings nicht, was daraus geworden ist. Er mochte es schon immer, mit Sachen, Geschäften oder Gebäuden zu spielen. So wie Ned es sieht, sind die meisten Dinge auf der Welt nur ein Spiel. Und er liebt es, zu gewinnen. Er mogelt sogar, um die anderen zu schlagen, aber nur, so lange er dabei seine eigenen Regeln nicht bricht. Das überrascht Sie vielleicht, aber er folgt wirklich bestimmten Regeln. Allerdings weiß keiner, wie die genau aussehen. Mehr kann ich Ihnen leider auch nicht sagen.«
    »Erzählen Sie mir doch bitte noch etwas über Ihre Beziehung zu Edward.«
    »Meine Beziehung zu Edward. Ich wünschte, es hätte je eine Beziehung zwischen Edward und mir gegeben. Nein, es gab immer nur Edward. Und dann gab es da noch mich. Ich war kein sehr amüsantes Spielzeug; zumindest nehme ich das an. Er hat mich einfach links liegen lassen. Aber ich kämpfe mich schon durch.«
    »Sie meinten, sein Timing sei nicht optimal gewesen.«
    »Er war immer zu beschäftigt, um ein verantwortungsvoller Mentor zu sein. Das hätte auch nicht zu seinem Wesen gepasst«, erklärte Gwen. »Ich ließ mich treiben, bis ich eines Tages ganz aus seinem Leben verschwand. Wenn er sich an mich erinnert, kümmert er sich um mich, doch das kommt eher selten vor. Aber der arme Cameron … Ned findet keinen Gefallen mehr an ihm. Er tut alles, um ihm Steine in den Weg zu legen. Cameron sollte lernen, sich ebenfalls treiben zu lassen so wie ich. Es ist sicherer. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich jetzt gehe? Der zweite Film fängt gleich an. Jean Renoir. Ich liebe Renoir. So wunderschön und so eigen.« Sie stand auf und schwebte davon, um in den dunklen Kinosaal zu entschwinden. Ich blieb noch sitzen und trank meinen Kaffee aus. Dieser Fall erinnerte mich eher an John Carpenter oder Fellini als an Renoir – zumindest, so weit ich das bisher sagen konnte.
    Auf dem Weg zurück war die Avenue voller Studenten, Bettler und Drogendealer. Hier und da bildeten sich Trauben von Leuten, sodass ich auf die Fahrbahn ausweichen musste. Obgleich der Grunge laut den Modemagazinen schon lange das Zeitliche gesegnet hatte, war es nicht leicht, die Studenten der Mittelschicht von den Obdachlosen zu unterscheiden. Ungepflegte Barte, fleckige Kleidung und zotteliges Haar wohin ich auch blickte. Gothics und Yuppies wirkten hier wie bunte Hunde in einer Schar von grauen Mäusen. Der Lärm war teilweise ohrenbetäubend. Als ich endlich in den University Way abbog und zielstrebig zu einem italienischen Restaurant lief, das vierundzwanzig Stunden geöffnet hatte, dröhnten mir die Ohren.
    Es war kurz vor halb elf, und mein Magen beklagte sich lautstark über die

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