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Greywalker

Greywalker

Titel: Greywalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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Straße, um im Kino hoffentlich Gwen zu finden.
    Das Grand Illusion – teils Programmkino, teils Cafe – lag am nördlichen Ende der Avenue. Ich befand mich im südlichen Teil des University Way in der Nähe des Universitätsverwaltungsgebäudes. Von hier bis zum Kino waren es ungefähr zehn Minuten zu Fuß, vorbei an mehr oder weniger hippen Läden. Man musste sich höllisch vor aggressiven Skateboardfahrern in Acht nehmen, die einen, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Bürgersteig drängten.
    Als ich vor dem Grand Illusion stand, schlich sich eine junge Frau in einem langen Batikrock und einem dunkelblauen Pullover von hinten an mich heran. »Hi«, begrüßte sie mich mit tiefer Stimme. »Möchten Sie vielleicht eine Karte kaufen? Der Film hat um acht angefangen, das erste Feature ist also beinahe vorbei.«
    »Ich suche jemanden. Sie sagte, sie würde heute Abend kommen. Sie heißt Gwen und ist sehr … dünn.«
    Sie lächelte. »Sie meinen wohl Lady Gwendolyn von Anorexia. Sie ist vor einer halben Stunde reingegangen. Sie können im Cafe auf sie warten, wenn Sie möchten.«
    Ich holte mir einen Becher Java-Kaffee und setzte mich an einen Tisch mit gutem Blick auf die Türen zum Kinosaal. Siebenundzwanzig Minuten später öffneten sie sich und das Publikum strömte ins Cafe. Nichts war einfacher, als Gwendolyn auszumachen.
    Sie wirkte wie das Abziehbild von Waterhouses Lady of Shalott und trug sogar ein fließendes weißes Kleid mit Trompetenärmeln. Ihr langes blondes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern bis zu den Hüften. Es hatte tatsächlich ganz den Anschein, als ob die moderne Lady von Shalott in den letzten Jahren nichts Nahrhafteres zu sich genommen hatte als hier und da ein Blatt Salat mit Tautropfen. Doch obwohl sie nicht viel dicker war als ein Bleistift, wirkte ihre Erscheinung seltsamerweise nicht hager.
    Als sie ins Cafe trat, ging ich zu ihr. »Entschuldigen Sie, sind Sie Gwen?«, fragte ich.
    Das Grau folgte ihr. Ich bekam eine Gänsehaut, die auch ihr wässriges Lächeln nicht verschwinden lassen konnte. »Ich heiße Gwen.« Ihre Stimme klang so dünn wie sie war. »Suchen Sie mich?«
    »Ein junger Mann namens Cameron Shadley hat mir von Ihnen erzählt. Wissen Sie, wen ich meine?«
    »Ich habe von Cameron Shadley gehört.«
    »Dann haben Sie ihn nie persönlich getroffen?«
    »Ach, nur einmal im Vorübergehen, als er noch ein Wesen des Tageslichts war. Wir sind nie Freunde geworden. Aber er weilt nicht mehr unter uns.«
    »Das kommt ganz darauf an, wen sie mit uns meinen«, berichtigte ich sie. »Er ist mein Klient – ich bin Privatdetektivin.«
    »Ich wusste ja gar nicht, dass es so etwas auch für unsereins gibt. Sie sind keine von uns.«
    »Nein, ich bin eine Frau des Tageslichts.«
    Sie lachte ein wenig. »Einen Augenblick bitte, ich möchte mir schnell eine Tasse Tee holen«, murmelte sie und schwebte zur Bar.
    Nach einiger Zeit kam sie wieder. Sie hantierte mit einer Teekanne und der dazugehörigen Tasse, trank aber nichts. »Ich bin mir nicht sicher, wie ich Ihnen helfen kann. Das Wort der Lady Gwendolyn von Anorexia zählt nicht viel in unserer Gemeinschaft, verstehen Sie?«
    Die Tatsache, dass sie von sich selbst in der dritten Person sprach, ließ mich stutzen. »Vielleicht könnten Sie mir eine größere Hilfe sein als Sie ahnen«, erklärte ich ihr. »Cameron hat ein kleines Problem mit Edward und hat mich gebeten, einzugreifen. Aber ich möchte zuerst mehr über Edward in Erfahrung bringen. Was wissen Sie über ihn?«
    »Über Ned? Ned ist verantwortungslos, kann es aber gut verheimlichen. Das ist wohl auch nicht so schwierig, wenn man ein Dutzend Lakaien zur Verfügung hat, die sich um jede Lappalie kümmern.«
    »Wie lange kennen Sie ihn schon?«
    »Mein ganzes Unleben lang. Er hat mich erschaffen.« Es klangen weder Hass noch Groll in ihrer Stimme mit – ja, kaum irgendein Gefühl. Sie behielt ihren sachlichen Tonfall bei, als ob sie über jemand anderen sprechen würde. »Im Jahr 1969 – ich war damals ein unbekümmertes Ding, das nach dem Motto ›Macht Liebe, keinen Krieg‹ lebte -und Ned war … nun … Ned war Ned. Ich wusste es damals noch nicht, aber er hatte gerade ganz Seattle unter seine Herrschaft gebracht. Folglich konnte er tun und lassen, was er wollte. Ich war ein Fehler.« Sie hielt inne und nahm einen Schluck Tee, wobei sie ihn mehr einzuatmen schien als zu trinken.
    »Wie soll ich das verstehen? Ist es denn nicht etwas, das absichtlich

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