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Greywalker

Greywalker

Titel: Greywalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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mithalten zu können, durfte man nicht trödeln. Als wir südlich in Richtung Pioneer Square abbogen, hatte sich das Wetter gerade entschieden, ein wenig Frühling zu spielen, wie das für Mitte April typisch ist. Die Einwohner von Seattle scheinen dabei immer zu vergessen, dass es im Mai wieder zu regnen anfängt. Viele waren ohne Jacken unterwegs und genossen einen unerwartet heiteren Nachmittag und Abend, der allerdings spätestens um neun sicher wieder umschlagen und Kälte und Nebel vom Meer bringen würde. Trotz dieser Launenhaftigkeit des Wetters mochte ich diese Jahreszeit normalerweise am liebsten. Aber heute hatte sie keine Wirkung auf mich.
    Als wir in die Yesler Avenue einbogen, musste ich blinzeln, denn auf einmal umgab mich ein seltsamer Nebel.
    Mein Magen zog sich zusammen und mir wurde übel. Als ich die Straße zu meinem Büro überquerte, tauchte plötzlich ein staubig wirkender, bärtiger Mann in Jeans, Stiefeln, einem Holzfällerhemd und einem breitkrempigen Hut vor mir auf. Er funkelte mich böse an und ging dann direkt auf mich zu. Rücksichtslos stieß er mich beiseite. Seine Berührung jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken und der Gestank, den er verströmte, war unerträglich.
    »Hey!«, schrie ich ihm nach. Doch er drehte sich nicht einmal um.
    »Was ist los?«, wollte Quinton wissen.
    Ich blinzelte verdutzt und holte erst einmal tief Luft. »Dieser Typ hat mich gerade angerempelt.«
    »Welcher Typ?«
    Ich zeigte mit dem Finger auf ihn. »Der da!«
    Wir blieben beide stehen und sahen in die Richtung, in die er gelaufen war. Aber dort waren nur ein paar normale Fußgänger. Mein unhöflicher Rüpel war von der Bildfläche verschwunden.
    »Er wird wohl in die kleine Gasse eingebogen sein«, sagte ich ohne Überzeugung. Stirnrunzelnd ging ich weiter.
    Als wir schließlich in meinem Büro standen, fing Quinton sofort an, Fenster und Eingang zu untersuchen. Er zog ein kompliziert aussehendes Multitool aus der Hosentasche und holte aus seinem Rucksack einige Leitungsspulen, Klebeband und irgendwelche kleinen Schachteln hervor, die er vor sich auf dem Boden ausbreitete.
    »Es sollte wirklich nicht lange dauern«, meinte er und setzte sich neben die offene Tür.
    Ich beobachtete, wie er knapp über dem Boden etwas am Rahmen anbrachte. Dann legte er eine lange Leitung, knipste sie an einer bestimmten Stelle ab und klebte sie um den Türrahmen, so dass sie in einem Bogen zurück zum Boden führte. Als Nächstes machte er sich an das Fenster.
    Das Telefon klingelte. Ich drehte Quinton den Rücken zu und nahm den Hörer ab.
    »Hallo, Miss Blaine? Hier spricht wieder Sergeyev. Wären Sie daran interessiert, mein Erbstück für mich ausfindig zu machen?«
    Ich setzte mich an den Schreibtisch und zog einen Notizblock heran. »Das kommt darauf an. Könnten wir uns treffen, um den Fall miteinander zu besprechen?«
    Er lachte. »Nein. Ich bin im Augenblick nicht in Seattle. Aber ich würde Sie sehr gut bezahlen. Zweitausend amerikanische Dollar im Voraus, wie es so schön heißt. Und noch mehr, sobald Sie es für mich aufgespürt haben.«
    »Dann bin ich interessiert. Ist das Objekt gestohlen worden?«
    »Nein, eher verlegt. Es hat hier so viele Störungen gegeben. Es ist einfach abhanden gekommen.«
    »Wo befinden Sie sich zur Zeit?«
    »Ich habe es zuletzt in der Schweiz gesehen. Ich glaube, Ingstrom hat die Fracht nach Seattle verschifft. Das muss so zwischen 1970 und 1980 gewesen sein …«
    Sein merkwürdiger Akzent und die Intonation verwirrten mich. Außerdem hatte ich ihn etwas anderes gefragt. »Worum handelt es sich denn?«
    »Um ein Möbelstück – ein Harmonium. Können Sie es ausfindig machen? Es eilt allerdings nicht.«
    Ich notierte mir die bisherigen Informationen und überlegte. »Das ist ja nicht besonders viel, was mir weiter hilft. Haben Sie vielleicht noch weitere Anhaltspunkte?«
    »Ich werde darüber nachdenken und Ihnen in der Zwischenzeit die nötigen Papiere samt Scheck zukommen lassen. Haben wir also eine Vereinbarung?«
    »Ja, aber es könnte durchaus etwas Zeit in Anspruch nehmen …«
    Ich glaubte, ein unterdrücktes Lachen zu hören, und dann sagte eine Stimme: »Wenn Sie telefonieren möchten, legen Sie bitte auf und wählen Sie erneut.«
    Ich sah zu Quinton hinüber, der neben der Telefonbuchse gekniet hatte und sich gerade erhob. »Was zum Teufel haben Sie getan? Das war ein Klient und ich habe noch nicht einmal seine Nummer!«
    »Ich habe nichts gemacht. Die

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