Greywalker
Geduld.« Das formlose Wesen fing an, sich zu winden – als ob sich in seinem Inneren unzählige Schlangen krümmen und es in die ungeheuren Tiefen des Nebels zurückverbannen würden. Kurz darauf war ich wieder allein inmitten dieser fremden Welt des Schleiers und des Grauens.
Ein Schrei und ein jammerndes Stöhnen ließen das seltsame Licht erbeben. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ein weiterer Schrei. Eine Gestalt brach durch die Schwaden, stieß heftig gegen mich und ließ mich beinahe das Gleichgewicht verlieren.
Da schnappte ein Schlund mit triefenden Zähnen nach meinem Kopf, gefolgt von einer sich windenden schwarzen Masse, die den Nebel um sich herum zum Vibrieren brachte. Sie drehte sich, schien sich zu sammeln – riesig, finster und mit einem fauchenden Kopf ohne Augen versehen. Eine Mähne knochiger Stacheln peitschte durch das rauchige Licht. Das Wesen kreischte und holte aus.
Sein Schrei ließ mich zurückstolpern. Plötzlich spürte ich eine Berührung am Kopf, eine weitere an meinem Brustkorb – ich wurde gestoßen. Die unbekannte Kraft hatte mich beiseite gedrängt.
Ich stürzte auf das Kopfsteinpflaster. Etwas brüllte, und die seltsam schimmernde Finsternis verschwand mit einem Knall, als hätte jemand eine Tür zugeschlagen.
Verzweifelt schlug ich um mich, suchte nach dem schwarzen Wesen und dem widerwärtigen Nebel. Aber ich lag nur in einer Gasse, der Gestank von Urin, Müll und verschüttetem Bier hing in der Luft. Dünner Bodennebel tanzte über den Rinnsalen zwischen den Pflastersteinen, sonst nichts.
Ich hörte, wie eine quietschende Tür geöffnet wurde. Dann das Klappern von Mülleimern, als ein Kellner Säcke voll Unrat in einen Container neben dem Merchants Cafe warf. Ich unterdrückte das Verlangen, laut zu stöhnen, und bemühte mich, wieder ruhiger zu atmen. Langsam zog ich mich an einer roten Ziegelwand hoch und klopfte mir, noch immer zitternd, den Dreck von den Klamotten. Fußgänger gingen an beiden Enden der Gasse vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Offenbar hatte niemand mitgekriegt, was mir gerade passiert war.
Unsicheren Schrittes taumelte ich auf die andere Seite der Gasse, fand dort meinen Geldbeutel, steckte ihn ein und wankte davon.
Mein Herz raste immer noch, als ich in meinem Auto saß und über die West Seattle Bridge fuhr. Was auch immer da mit mir geschehen war – das war bestimmt keine zeitweilige Anomalie durch eine Kopfverletzung. Was hatte sich da gerade auf mich gestürzt? Wo um Himmels Willen war ich gewesen? Die einzige Bezeichnung, die mir für die Kreatur einfiel, mit der ich gesprochen hatte, war »Geist«. Und dieses Wort gefiel mir ganz und gar nicht.
Als ich mich schließlich in der Sicherheit meiner eigenen vier Wände befand, suchte ich sofort nach der Visitenkarte, die mir Dr. Skelleher gegeben hatte. Es war zwar bereits nach zehn, aber ich konnte und wollte keine Sekunde länger warten.
Eine fröhlich klingende Männerstimme meldete sich. »Ben Danziger am Apparat.«
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber auf jeden Fall nicht das.
Noch immer zitternd stammelte ich: »Äh, ich heiße Harper Blaine. Dr Skelleher hat Sie oder … oder Mara empfohlen. Er meinte, dass Sie mir unter Umständen helfen könnten.«
»Der alte Skelly! Natürlich! Was kann ich denn für Sie tun?«
Ich zögerte. »Ich … Ich bin mir nicht ganz sicher. Er meinte, dass … dass Sie gewisse Erfahrungen gemacht hätten. Ich glaube nämlich, dass ich Geister sehe oder so etwas Ähnliches.«
»Oh, ich verstehe. Ja, die können recht lästig sein. Vor allem, wenn man nicht weiß, ob sie tatsächlich existieren oder nicht.«
»Genau! Und dann gibt es noch diese lebenden Nebelschwaden …«
»Nebelschwaden? Das ist ja interessant. Erleben Sie diese Dinge erst seit kurzem?«
»Ja.«
»Hmm.« Er wandte sich vom Hörer ab, und ich konnte eine gedämpfte Unterhaltung hören. Dann sprach er wieder ins Telefon: »Ich denke, dass wir Ihnen helfen können -zumindest etwas. Vielleicht sind wir in der Lage, Sie in die richtige Richtung zu weisen, sodass Sie verstehen, was um Sie herum passiert und sich wieder etwas wohler fühlen. Hätten Sie Zeit, auf ein Stündchen oder zwei vorbei zu kommen?«
»Jetzt sofort?«
Er lachte. »Nein, nein. Morgen. Wäre es Ihnen, sagen wir, um sechzehn Uhr recht? Dann ist Mara auch zu Hause.«
Ich war heilfroh. »Ja, gerne, dann also um vier. Wunderbar. Und wo?«
»Wir wohnen in der Upper Queen Anne über
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