Greywalker
mitkam, denn ich war derart erledigt, dass ich kaum mehr das Normale vom Paranormalen unterscheiden konnte. Aber mit Quinton neben mir ließ ich das Ganze einfach über mich hinwegrollen.
»Bist du dir wirklich sicher, dass du noch fahren willst?«, fragte er, als wir schließlich neben meinem Auto standen.
»Ich bin nur müde, keine Sorge. Ich sollte mich bloß auf die Socken machen, ehe ich hier einschlafe. Vielen Dank für den Abend, es war sehr nett. Kann ich dich noch irgendwohin mitnehmen?«
»Nein, danke. Ich wohne hier mehr oder weniger gleich um die Ecke.« Einen Augenblick lang schien er noch etwas hinzufügen zu wollen, meinte dann aber nur: »Also, wir sehen uns dann am Montag.«
»Ja, bis Montag«, erwiderte ich und fragte mich, was er wohl hatte sagen oder tun wollen.
Er sah mir nach, als ich vom Parkplatz fuhr, und winkte, ehe er sich auf den Weg machte.
Die Fahrt nach Hause schien eine halbe Ewigkeit zu dauern.
Als ich am Sonntagmorgen aufwachte, hatte ich ausgesprochen miese Laune. Die Glocken der katholischen Kirche nebenan läuteten, als hätte Quasimodo gerade einen Herzinfarkt. Einige Straßen weiter schrillten die elektrischen Glockenspiele der Baptisten und der Lutheraner voll des protestantischen Eifers. Meistens genoss ich dieses Sonntagskonzert, doch an diesem Tag hätte ich am liebsten die Verantwortlichen ausfindig gemacht und sie direkt unter ihre Höllenmaschinen gestellt.
Vor mich hin schimpfend ging ich meinen morgendlichen Erledigungen nach und ließ Chaos zum Spielen aus dem Käfig, während ich darauf wartete, dass meine Haare trockneten. Auf Colleen Shadleys Liste gab es nur noch einen Namen, den ich noch nicht abgehakt hatte, aber daneben stand diesmal keine Telefonnummer. Ich musste mich also wieder einmal zur Eastside aufmachen.
Mich plagte ein wenig das schlechte Gewissen, weil ich mein Frettchen am Tag zuvor die ganze Zeit im Käfig gelassen hatte. Also beschloss ich, Chaos auf die Fahrt nach Bellevue mitzunehmen.
Es nieselte leicht, als wir den See überquerten. Der Verkehr auf den Straßen war gering, sodass wir relativ schnell auf die Autobahn kamen. Ich musste zwischendurch noch einmal einen Blick auf die Karte werfen, um die Adresse, die Colleen mir für ihre Tochter aufgeschrieben hatte, ausfindig zu machen. Sie wohnte nicht weit vom Einkaufszentrum entfernt in einer Art kleinem Tal, das dieses Viertel von dem Industrie- und Geschäftsgebiet trennte. Die Häuser stammten größtenteils aus den fünfziger Jahren und waren aus kleinen Ziegeln und großen Dachschindeln aus Zedernholz gebaut und mit Kurbelfenstern ausgestattet. Sarahs Haus hatte einen kleinen, mit Unkraut überwucherten Vorgarten. Ich steckte das schlafende Frettchen vorsichtig in meine Handtasche und machte mich auf den Weg zur Haustür, wobei ich über die diversen Einzelteile eines Motorrads steigen musste. Als ich klopfte, erklang irgendwoher Musik.
Im Haus wurden Schritte laut und das Glas des Spions verdunkelte sich. Dann wurde die Tür so weit geöffnet, wie die Sicherheitskette es zuließ.
»Was wollen Sie?« Ihre Stimme klang farblos und wurde fast von der klassischen Musik im Hintergrund übertönt. Ihr Gesicht konnte ich nicht erkennen.
»Ich suche Cameron Shadley.«
Sie gab einen verächtlichen Laut von sich. »Der wohnt hier nicht. Wer hat Sie geschickt?«
»Ich weiß, dass er hier nicht wohnt, aber ich möchte mit seiner Schwester reden. Sind Sie Sarah Shadley?«
Die Tür schloss sich, und ich hörte, wie die Kette klapperte. Kurz darauf öffnete sich die Tür wieder. Diesmal lugte ein schmales Gesicht durch einen Spalt. »Warum wollen Sie mit mir sprechen? Hat Cameron irgendetwas ausgefressen?«
»Cameron wird vermisst. Sind Sie Sarah?«, wiederholte ich.
Nun öffnete sie die Tür ganz, starrte mich aber weiterhin misstrauisch an. Sie sah aus, als würde sie zur Addams-Familie gehören. Zwar war sie nicht so groß wie ich, dafür aber klapperdürr. Ihre schwarz gefärbten Haare hingen schlaff um ihre Wangen und am Ansatz war die ursprüngliche blonde Farbe noch deutlich zu erkennen. Auch ohne Make-up schimmerte ihr Gesicht kalkweiß. Um die Augen zeigten sich dunkle Ringe, die sie noch eingefallener wirken ließen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter und ihrem Bruder waren ihre Augen braun-grün. Sie trug eine schwarz-weiß gestreifte Tunika, schwarze Leggings und keine Schuhe.
Sie dachte einen Moment nach, ehe sie antwortete. »Ja, ich bin Sarah. Und wer sind Sie?«
»Ich heiße
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