Greywalker
ist?«, fragte sie und schaute hoch.
Ihre Augen sahen an mir vorbei in die Ferne – zu einem Ort, den ich nur allzu gut kannte. Überrascht stammelte ich: »Nein, was denn?«
»Ich habe Angst davor, dass sie es tatsächlich tun werden! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich weiß, dass sie tot sind, das steht außer Frage. Ich habe es akzeptiert. Aber das Haus … das Haus scheint sie nicht vergessen zu können. Als ob ihre Körper, ihre Wesen hier eingebrannt wären – so wie man die Treppenstufen abnutzt, wenn man sie ständig auf und ab geht.«
Sie beugte sich nach vorn und sah sich um, als ob uns jemand beobachten würde. Dann flüsterte sie: »Ich bin beinahe froh, das Haus zu verkaufen. Wozu brauche ich es denn noch, wenn ich es mit derart fürchterlichen Vorstellungen verbinde?«
Sie lehnte sich wieder zurück. »Da haben Sie es. Jetzt halten Sie mich bestimmt für eine verrückte alte Schachtel.«
Ich erinnerte mich an den Schatten der Katze im Badezimmer und schüttelte den Kopf. »Nein, das tue ich ganz und gar nicht. Ich vermute, dass Chet und Tommy hier in diesem Haus geboren worden sind, nicht wahr?«
Sie nickte und schniefte erneut.
»An Ihrer Stelle würde ich wahrscheinlich auch wegziehen. Es ist schwer, mit Geistern zu leben.«
Sie seufzte. Ihre Schultern entspannten sich sichtbar. »Vielen Dank. Ich bin so froh, dass mich jemand versteht. Sonst habe ich nämlich Angst, meinen Freunden und der Familie davon zu erzählen. Man würde glauben, dass ich Chets und Tommys Tod einfach verdrängen will. Alle nehmen an, dass ich das Haus der Schulden wegen verkaufe. Oder weil es für mich allein einfach zu groß ist.«
»Lassen Sie sie doch einfach in diesem Glauben. Das kann Ihnen letztendlich egal sein«, schlug ich vor.
Mrs Ingstrom nickte, ehe sie sich den Rock glatt strich und ein letztes Mal schniefte. Sie wirkte so, als ob ihr eine schwere Last von den Schultern genommen worden wäre. »Nun mussten Sie sich aber lange genug meine Sorgen anhören. Jetzt wollen wir doch mal sehen, was ich für Sie tun kann.«
Sie nahm einen braunen Umschlag von einem Beistelltisch und reichte ihn mir. »Hier drin befinden sich die Quittung und eine Kopie des ursprünglichen Onboard-Konnossements sowie das Pfandrecht des Frachtführers. Vielleicht hilft Ihnen das weiter. Ich selbst brauche nichts mehr davon, da es schon so alt ist, dass selbst die Steuer nicht mehr daran interessiert sein dürfte.«
Rasch öffnete ich den Umschlag und überflog die Dokumente. Dann lächelte ich sie an. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mrs Ingstrom. Es tut mir wirklich leid, was Sie alles durchmachen müssen. Umso mehr danke ich Ihnen dafür, dass Sie in einer solch schwierigen Zeit die Dokumente Ihres Mannes für mich durchgesehen haben.«
»Es war eine willkommene Abwechslung, einmal nicht etwas für einen Immobilienmakler, einen Insolvenz-Verwalter oder einen Buchhalter tun zu müssen. Ich hoffe, dass Ihnen die Informationen weiterhelfen.«
»Da bin ich mir sicher«, erwiderte ich und erhob mich. »Vielen Dank auch für den Kaffee.«
Sie stand ebenfalls auf, um mich zur Haustür zu begleiten. »Das ist das Mindeste, was ich für Sie tun konnte. Und ich habe mich gefreut, Sie wiederzusehen.« Sie verabschiedete mich an der Tür und ich merkte deutlich, wie sie automatisch in die Rolle der perfekten Gastgeberin schlüpfte.
Als ich wieder im Auto saß, spielte ich ein Weilchen gedankenverloren und müde mit dem Gurt herum. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie das Grau flimmerte und dem Haus ein unheimliches Aussehen verlieh. Es schien geradezu über eine eigene Nebelbank zu verfügen. Die Katze, die nun auf der Veranda saß, wirkte wie aus Stein gemeißelt und beobachtete mich mit ihren unheimlichen gelben Augen. Mrs Ingstrom winkte mir nach, ich winkte zurück und fuhr los.
Einige Blöcke lang fuhr ich einfach so dahin und ließ meine Gedanken wandern. Irgendwie fühlte ich mich nicht wohl. Etwas war nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Vielleicht hatte ich auch einen von den Viren aufgeschnappt, vor denen RC mich gewarnt hatte. Ich runzelte die Stirn und fuhr zum Büro. Mit dem Fall Cameron Shadley schien ich momentan zwar nicht weiter zu kommen, aber zumindest konnte ich versuchen, diesen Philip Stakis anzurufen, um wenigstens beim Harmonium etwas zu erreichen.
Vor meinem Büro bemerkte ich weder irgendwelche dubiosen grauen Gestalten noch hatte jemand versucht, bei mir einzubrechen. Ich ließ mich auf meinen
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