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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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nackte Braut darstellen sollte, traf er auf der schmalen und steilen Estrichtreppe, die eigentlich mehr eine Leiter war, den Kunsthändler Nadelör, unter dessen Nase sich nun Eisklumpen gebildet hatten und der sich, aufs jämmerlichste durchfroren im eisigen Zugwind, da oben an die Wand preßte.
    »Sehen Sie«, klagte der Vereiste, fast unhörbar und wie aus einer Gletscherspalte heraus, »ich habe es mir gedacht. Sie haben etwas gekauft, ich protestiere.«
    »Es ist ein Hochzeitsgeschenk«, erklärte Arnolph und begann vorsichtig die Treppe hinunterzusteigen, durch die Blumen und die Drahtplastik behindert, ärgerlich über sein unsinniges Abenteuer, war es doch bald neun Uhr; doch ließ die Treppe ein hastigeres Hinuntersteigen nicht zu.
    Der Kunsthändler folgte ihm.
    »Sie sollten sich schämen«, reklamierte Nadelör, soweit seine Worte überhaupt zu verstehen waren, »hörte, wie Sie zu Passap bemerkten, Sie seien Weltkirchenrat. Skandalös. Modell zu stehen in diesem Beruf! Splitternackt!«
    »Darf ich Sie bitten, mir die Plastik zu halten«, bat nach einiger Zeit Archilochos notgedrungen (zwischen dem dritten und vierten Stockwerk, in der Nähe der immer noch kreischenden Frau und des johlenden Mannes), »nur einen Augenblick, ich bin mit dem Fuß durch die Treppe gebrochen.«
    »Unmöglich«, hauchte Nadelör, »ohne Prozente rühre ich keine Plastik an.«
    »Dann die Blumen.«
    »Kann nicht«, entschuldigte sich der Kunsthändler, »meine Ärmel sind festgefroren.«
    Endlich erreichten sie die Straße. Das Auto mit den Eiszapfen glänzte silbern. Nur der Kühler war eisfrei, und der Motor 76

    lief. Im Innern war es kalt, die Heizung sei nicht in Ordnung, erklärte der frierende Chauffeur.
    »Boulevard Saint-Père 12«, sagte Archilochos, froh, seine Braut nun bald zu sehen.
    Eben wollte sich der Wagen in Bewegung setzen, als der Kunsthändler an die Scheibe klopfte.
    »Ich muß Sie bitten, mich mitzunehmen«, war aus der Eis-masse undeutlich zu vernehmen, als sich Arnolph, der die Scheibe niederließ, dem schimmernden Gebilde entgegenneig-te. Er sei unfähig, noch einen Schritt weiterzugehen, und in die Altstadt kämen selten Taxis.
    »Unmöglich«, sagte Archilochos, er müsse dringend in den Boulevard Saint-Père und habe sich hier schon viel zu lange aufgehalten.
    »Sie als Christ und Weltkirchenrat können mich doch nicht im Stich lassen«, antwortete Nadelör empört. »Ich beginne schon ans Trottoir anzufrieren.«
    »Steigen Sie ein«, sagte Archilochos und öffnete die Wagentüre.
    »Etwas wärmer hier, scheint mir«, meinte der Kunsthändler, als er endlich neben Archilochos saß. »Hoffentlich taue ich auf.«
    Doch als sie in den Boulevard Saint-Père einbogen, war Nadelör noch nicht aufgetaut, auch mußte er das Taxi ebenfalls verlassen. Der Chauffeur wollte nicht nach dem Quai zurück.
    Er hatte genug von der Kälte und fuhr davon. So standen sie denn beide vor der Gittertüre mit den Putten und Delphinen, mit der roten Lampe, die nun erloschen war, und den zwei großen steinernen Sockeln. Archilochos zog an der altertümli-chen Vorrichtung. Niemand kam. Der Boulevard war menschenleer, und nur von ferne drangen der Lärm und die Schreie der protestierenden Fahrcks-Anhänger herüber.
    »Mein Herr« sagte Archilochos, beunruhigt über seine Verspätung, die Blumen und die Drahtplastik in den Armen, »ich 77

    muß Sie nun verlassen.«
    Er öffnete entschlossen die Gittertüre, doch folgte Nadelör auch ins Innere des Parks.
    Was er denn noch wünsche, fragte Arnolph verärgert, da er den vereisten Kunsthändler nicht los wurde.
    Er müsse nach einem Taxi telephonieren, erklärte der Galeriebesitzer.
    »Ich kenne die Leute hier nur flüchtig –«
    »Sie als Weltkirchenrat –«
    »Bitte«, sagte Archilochos, »bitte. Kommen Sie –« Die Kälte war unbarmherzig. Der Kunsthändler klirrte beim Gehen wie ein Glockenspiel. Die Tannen und Ulmen standen bewegungs-los, riesige Sterne funkelten am Himmel, rot und gelb, und das silberne Band der Milchstraße. Zwischen den Stämmen leuchteten die Fenster einer Villa in gedämpftem Gold, die eigentlich, da sie näher kamen, ein Rokokoschlößchen war, etwas verschnörkelt, mit schlanken Säulen, alles übersponnen vom Geäst wilden Weins, das man in der klaren Nacht deutlich erkennen konnte. Zum Eingang führte eine sanft geschwungene Treppe. Er war hell erleuchtet und ohne Schild, nur eine schwere Klingel hing herunter, doch öffnete wieder

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