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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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schlecht beleuchte-ten Rue Funebre, stieg Archilochos, die weißen Rosen immer noch im Arm, denn auch aus einem Märchenfahrzeug, das mit funkelnden und klirrenden Eiszapfen behangen war, und hieß den Taxifahrer warten, von Straßenjungen umlagert, die sich an seine Hosenbeine klammerten, drang dann an einer bösartigen und betrunkenen Concierge vorbei ins Innere des alten, hohen Hauses und begann endlose Treppen zu steigen, die so morsch waren, daß sein Fuß einigemale durch die Stufen brach und er, ans hölzerne Geländer geklammert, im Leeren hing. Er stieg mühsam von Etage zu Etage, Sprießen in den schmerzenden Händen, fast im Dunkeln, forschte bei den alten Türen nach, ob Passaps Name irgendwo zu finden sei, den Atem Nadelörs hinter sich, den er immer noch nicht beachtete. Es war bitter kalt im Treppenhaus, irgendwo klimperte ein Klavier, und irgendwo schlug ein Fenster auf und zu. Hinter einer Tür kreischte eine Frau und johlte ein Mann, und es roch nach wüsten Orgien. Archilochos stieg immer höher, sank wieder einmal bis zum Knie ein, geriet in ein Spinnennetz, über seine Stirne lief ein dickes, halberfrorenes Ungeziefer, welches er ärgerlich fortwischte. Endlich fand er, den Pelzmantel von Vatti und das schöne neue Kleid von O’Neill-Papperer verstaubt und die Hosen schon aufgerissen, doch mit heilen Blumen, am Ende einer schmalen und steilen Estrich-Treppe 68

    quer auf einer wackligen Türe den Namen Passaps riesenhaft mit Kreide geschmiert. Er klopfte. Zwei Treppen weiter unten lauerte in der eisigen Kälte Nadelör. Keine Antwort. Er klopfte noch ein zweites, dann ein drittes, viertes Mal. Niemand. Der Weltkirchenrat drückte die Falle nieder, die Türe war unverschlossen, und er trat ein.
    Es war ein unermeßlicher Estrich, in welchem er sich nun befand, eine Tenne beinahe, ein Balkengewirr mit verschiedenen Böden. Überall standen Negergötzen herum, überall aufgestapelte Bilder, leere Rahmen, Plastiken, seltsam gebogene Drahtgestelle, ein glühender Eisenofen mit einem überlan-gen, sich grotesk windenden Rohr, überall Wein- und Whisky-flaschen, ausgedrückte Tuben, Farbkübel, Pinsel, überall Katzen, und auf den Stühlen türmten sich Bücher und lagen auf dem Boden herum. In der Mitte des Raums stand Passap in einem offenbar einst weißen Malermantel, nun aufs farbigste bekleckst, und spachtelte an einem Bild auf der Staffelei herum, Parabeln und Ellipsen, während vor ihm, in Ofennähe, ein fettes Mädchen auf einem wackligen Stuhle saß, splitternackt, mit langen blonden Haaren, die Arme hinter dem Nak-ken verschränkt. Der Weltkirchenrat stand wie versteinert (sah er doch zum ersten Mal eine nackte Frau) und wagte kaum zu atmen.
    »Wer sind Sie?« fragte Passap.
    Archilochos stellte sich vor, etwas verwundert über die Frage, hatte ihn doch am Sonntag der Maler gegrüßt.
    »Was wollen Sie?«
    »Sie haben meine Braut Chloé gemalt, nackt«, würgte der Grieche hervor.
    »Sie meinen das Bild: ›Venus, 11. Juli‹, das jetzt in der Galerie Nadelör hängt.«
    »Eben.«
    »Zieh dich an«, herrschte Passap das Modell an, das hinter einem Wandschirm verschwand, betrachtete dann Archilochos 69

    lange und aufmerksam, eine Pfeife im Mund, deren Rauch in das Gewirr der Balken kräuselte.
    »Und?«
    »Mein Herr«, entgegnete Archilochos aufs würdigste, »ich bin ein Verehrer Ihrer Kunst. Ich habe Ihre Tätigkeit mit Begeisterung verfolgt, ja Sie sogar zu Nummer vier meiner Weltordnung erhoben.«
    »Weltordnung? Was ist denn das für ein Blödsinn?« fragte Passap, neue Farbberge (Kobaltblau und Ocker) auf seine Palette häufend.
    »Ich habe eine Liste der würdigsten Vertreter unserer Zeit verfaßt, eine Liste meiner sittlichen Vorbilder.«
    »Nun?«
    »Mein Herr, trotz der Begeisterung, die ich für Sie empfinde, trotz meiner Verehrung, muß ich Sie bitten, eine Erklärung abzugeben. Es ist sicher nicht alltäglich, daß ein Bräutigam seine Braut nackt als Venus abgebildet sieht. Auch wenn es sich um ein abstraktes Gemälde handelt, muß doch ein empfin-dungsvoller Betrachter den Gegenstand erkennen.«
    »Allerhand«, sagte Passap, »dazu sind meine Kritiker nicht fähig.«
    Dann prüfte er Archilochos aufs neue, trat auf ihn zu, betaste-te ihn wie ein Pferd, trat wieder einige Schritte zurück und kniff die Augen zusammen.
    »Ziehen Sie sich aus«, sagte er dann, goß sich Whisky in ein Glas, trank und stopfte sich eine neue Pfeife.
    »Aber …« versuchte Arnolph zu

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