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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Archilochos.
    »Plaudern wir dabei, kneifen wir nicht voreinander, kommen wir auf Ihre schöne Chloé zu reden, um die es ja geht, die Sie verwirrt«, forderte der Alte auf.
    »Ich bin eben heute in der Heloisen-Kapelle sehr erschrocken«, sagte Archilochos, »als ich mit einem Male die Wahrheit erkannte.«
    »Ich hatte auch etwas den Eindruck«, bestätigte der Präsident.
    »Während ich Sie so dasitzen sah«, bekannte Arnolph, »in der Kirche, mit allen Ihren Orden, fuhr es mir mit einem Male durch den Sinn, daß Sie nur zur Hochzeit gekommen seien, weil Sie mit Chloé –«
    »Sie verehrten mich sehr?« fragte der alte Herr.
    »Sie waren mein Vorbild. Ich hielt Sie für einen strengen Alkoholgegner«, bemerkte Archilochos schüchtern.
    »Das hat mir die Presse eingebrockt«, brummte der Staats-114

    präsident, »weil die Regierung einen Kampf gegen den Alko-holismus führt, photographiert man mich immer mit einem Glas Milch.«
    »Ebenso hieß es, Sie seien auch in moralischer Hinsicht äu-
    ßerst streng.«
    »Nur die Meinung des Frauenvereins. Sie sind Temperenzler?«
    »Ebenfalls Vegetarier.«
    »Nun trinken Sie Champagner, nun essen Sie Hähnchen?«
    »Ich habe keine Ideale mehr.«
    »Das tut mir leid.«
    »Es sind alle Heuchler.«
    »Auch Chloé?«
    »Sie wissen genau, was Chloé ist.«
    »Die Wahrheit«, bemerkte der Staatspräsident, legte einen abgenagten Hähnchenknochen zur Seite und rückte den Ker-zenständer zwischen ihnen etwas weg, »die Wahrheit ist immer etwas Genierliches, wenn sie an den Tag kommt, nicht nur bei Frauenzimmern, bei allen Menschen und besonders beim Staate. Ich möchte manchmal auch aus meinem Palais stürzen
    – das ich schon rein architektonisch scheußlich finde – wie Sie aus der Heloisen-Kapelle, aber eben, ich habe nicht so recht die Courage und klettere heimlich über die Mauer. Ich will niemanden von den Betroffenen verteidigen«, fuhr er fort, »am wenigsten mich, es ist dies überhaupt ein Gebiet, von dem sich schicklich nur schwer reden läßt, und wenn schon, so nur nachts unter vier Augen, weil bei jedem Reden Ansichten und Moralitäten hineingeraten, die nicht dazugehören, und weil die Tugenden, Leidenschaften und Fehler der Menschen so nahe beieinanderliegen, daß leicht Verachtung und Haß aufkommen, wo Verehrung und Liebe allein das Gegebene wären. Ich will Ihnen daher nur eines sagen, Bester, Guter: Wenn es einen Menschen gibt, den ich beneide, sind Sie es, und wenn es einen gibt, für den ich fürchte, sind Sie es auch. – Ich hatte Chloé mit 115

    vielen zu teilen«, sagte er dann nach einer Weile, zurückgesun-ken in den Biedermeiersessel und Archilochos beinahe zärtlich unterrichtend, »sie war eine Königin in einem dunklen elemen-taren Reich. Sie war eine Kurtisane. Die berühmteste der Stadt.
    Ich will dies nicht beschönigen, und ich bin zu alt, es zu tun.
    Ich bin dankbar, daß sie mir ihre Liebe schenkte, und denke an keinen Menschen mit größerer Dankbarkeit zurück. Nun hat sie sich abgewandt von uns allen und ist zu Ihnen gekommen, so war denn ihr Freudentag für uns ein Abschieds- und Dankfest.«
    Der greise Staatspräsident schwieg, strich mit der Rechten wie verträumt über seinen gepflegten Spitzbart, der Kammerdiener schenkte Champagner ein, und draußen hörte man die zackigen Befehle, den Stechschritt der Leibwache. Auch Archilochos hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und dachte mit Befremden an die nun so nutzlose Bombe in seiner Manteltasche, als er zwischen den Vorhängen des Fensters hindurch spähte und Fahrcks’ Wagen vor dem Wirtschaftsministerium warten sah.
    »Was nun Sie betrifft, Bester, Liebster«, fuhr der Staatspräsident nach einer Weile leise fort, sich eine kleine helle Zigarre anzündend, die ihm der Kammerdiener gereicht hatte (auch Archilochos rauchte), »so begreife ich Ihre stürmischen Gefüh-le. Welcher Mann wäre in Ihrer Situation nicht beleidigt. Doch sind es gerade diese so natürlichen Gefühle, die es zu bekämpfen gilt, da doch sie den größten Unfug anrichten. Helfen kann ich nicht, wer vermöchte dies auch, ich kann nur hoffen, daß Sie über eine Tatsache hinwegkommen, die niemand zu leugnen vermag, die nur dann hinfällig und unbedeutend wird, wenn Sie die Kraft haben, an die Liebe zu glauben, die Ihnen Chloé entgegenbringt. Das Wunder, das da zwischen euch beiden geschah, ist nur durch die Liebe möglich und glaubwürdig und wird außerhalb dieser Liebe zu einer Farce. So wandeln Sie denn

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