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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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auf einer schmalen Brücke, über gefährliche Abgründe, auf einem Schwert wie die Mohammedaner, wenn 116

    sie in ihr Paradies einziehen, habe wenigstens einmal so was gelesen; aber nehmen Sie doch noch etwas vom Hähnchen«, forderte er seinen verhinderten Mörder auf, »es ist wirklich vortrefflich und immer etwas Tröstliches.« Archilochos saß da, von Kerzen umschimmert, versunken in die wohlige Wärme des Raumes. An den Wänden hingen in schweren goldenen Rahmen ernste, längst verblichene Staatsmänner und Helden und betrachteten ihn nachdenklich, fremd, erhaben, eingegangen in die Ewigkeit. Eine ihm sonst unbekannte Ruhe war in seine Seele eingezogen, eine unbegreifliche Heiterkeit, nicht nur durch die Worte des Staatspräsidenten bewirkt, was waren auch Worte, doch durch dessen gütige, väterliche, höfliche Art.
    »Sie sind begnadet worden«, bemerkte der alte Herr noch,
    »der Grund dieser Gnade kann zweierlei sein, und es hängt von Ihnen ab, was er sei: die Liebe, wenn Sie an diese Liebe glauben, oder das Böse, wenn Sie an diese Liebe nicht glauben. Die Liebe ist ein Wunder, das immer wieder möglich, das Böse eine Tatsache, die immer vorhanden ist. Die Gerechtigkeit verdammt das Böse, die Hoffnung will bessern, und die Liebe übersieht. Nur sie ist imstande, die Gnade anzunehmen, wie sie ist. Es gibt nichts Schwereres, ich weiß es. Die Welt ist schrecklich und sinnlos. Die Hoffnung, ein Sinn sei hinter all dem Unsinn, hinter all diesen Schrecken, vermögen nur jene zu bewahren, die dennoch lieben.«
    Er schwieg, und zum ersten Male konnte Archilochos wieder an Chloé denken, ohne Grauen, ohne Entsetzen.

    24

    Dann, als die Kerzen niedergebrannt waren, half der Staatsprä-
    sident Archilochos in den Mantel mit der nun nutzlosen Bombe und begleitete ihn, da der Lift gerade nicht funktionierte, zum 117

    Hauptportal hinunter, weil er, wie er sagte, Ludewig nicht embêtieren wolle, der steif und korrekt neben dem Sessel seines Herrn stehend eingeschlafen war, ein Kunststück, worüber der alte Herr äußerte, es sei unter allen Umständen zu respektieren. So gingen sie denn beide durch das leere Staatspalais nach unten, die breite, geschwungene Treppe hinab, Archilochos getröstet, mit der Welt zufrieden, sich nach Chloé sehnend, der Staatspräsident mehr wie ein Museumsdirektor, bald in diesem, bald in jenem Saal die Lichter anzündend und die nötigen Erklärungen abgebend. Hier repräsentiere er, sagte er etwa und deutete in einen monumentalen Prunksaal, oder hier nehme er die Demission der Ministerpräsidenten entgegen, zweimal im Monat, und hier in diesem intimen Salon mit dem beinahe ganz echten Raffael habe er mit der englischen Königin und ihrem Prinzgemahl den Tee genommen und sei dabei fast eingeschlafen, als der Prinzgemahl auf die Marine zu sprechen gekommen sei, nichts langweile ihn eben so wie Marinegeschichten, und nur die Geschicklichkeit des Chefs des Protokolls habe ein Unglück verhütet; der habe ihn im ent-scheidenden Augenblick geweckt und ihm eine marinegemäße Antwort zugeflüstert. Sonst seien sie ganz nett gewesen, die Engländer. Dann nahmen sie Abschied, zwei Freunde, die sich ausgesprochen, die Frieden miteinander geschlossen hatten.
    Vom Hauptportal winkte der Alte noch einmal lächelnd, heiter.
    Archilochos blickte zurück. Das Palais ragte in die kalte Nacht, nun düster, wie eine riesenhafte, verschnörkelte Kommode, der Viertelsmond war nicht mehr zu sehen. Er schritt zwischen den salutierenden Leibwachen hindurch und gelangte auf den Quai de l’Etat, schwenkte jedoch in die Ruelle Etter zwischen der Nuntiatur und der Schweizerischen Gesandtschaft ein, da er vom Wirtschaftsministerium her Fahrcks’ Wagen heranbrausen sah, gelangte in der Rue Stäbi vor die Pfyffersche Bar und nahm dort ein Taxi; mit Fahrcks wünschte er nicht mehr zusammenzutreffen. Dann rannte er durch den Park, nur von 118

    dem Gedanken beherrscht, Chloé in die Arme zu schließen.
    Das Rokokoschlößchen war hell erleuchtet. Wilder Gesang dröhnte ihm entgegen. Die Haustüre war offen. Zigarren- und Pfeifenrauch qualmte in dicken gelben Schwaden, Bruder Bibi mit seinen Kinderchen hatte nun vom ganzen Haus Besitz ergriffen. Überall saßen und lagen Mitglieder der Bande betrunken und lallend herum, auf den Sofas, unter den Tischen, eingewickelt in die heruntergerissenen Vorhänge, die Vaganten, Zuhälter und Strichjungen der Stadt schienen versammelt, in den Betten kreischten Weiber,

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