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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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hätten Sie nie eingelassen. Doch nun sind Sie da, was mich ungemein freut. Wie sind Sie denn nur ins Haus gekommen? Wollte gerade den Kammerdiener hinunterschik-ken. Ich wohne erst seit einer Woche im vierten Stock, hier ist es gemütlicher als im ersten, nur, freilich, funktioniert der Lift nicht immer.«
    Die Hintertüre sei unverschlossen gewesen, stammelte Archilochos, der den richtigen Augenblick verpaßt hatte und auch zu nahe bei seinem Opfer stand.
    »Das trifft sich gut«, freute sich der Staatspräsident. »Mein Kammerdiener, der uralte Ludwig, Ludewig, wie ich ihn nenne (sieht ja auch viel mehr einem Staatspräsidenten ähnlich als ich), hat denn auch ein kleines Essen improvisiert.«
    »Bitte«, sagte Archilochos errötend, er wolle nicht stören.
    Das tue er ganz und gar nicht, beteuerte der alte spitzbärtige Herr freundlich. »In meinem Alter schläft man nicht gerade viel, kalte Füße, Rheumatismus, Sorgen, private und geschäft-liche als Präsident bei der heutigen Tendenz der Staaten, zusammenzukrachen, und da esse ich öfters eine Kleinigkeit in den langen Nächten in meinem einsamen Palais. Zum Glück ist voriges Jahr die Zentralheizung eingerichtet worden.«
    »Es ist wirklich angenehm warm«, stellte Archilochos fest.
    »Wie sehen Sie denn aus?« wunderte sich der Staatspräsident: »Ganz von Staub überzogen. Ludewig, bürste ihn doch ein bißchen.«
    »Gestatten«, sagte der Kammerdiener und reinigte den Attentäter vom Staub und dem Vogeldreck der Fassade. Archilochos wagte sich nicht zu wehren, fürchtete, die Bombe in seiner Manteltasche könne durch das Bürsten explodieren, und war froh, als ihm der Kammerdiener aus dem Mantel half.
    »Sie ähneln meinem Butler in dem Boulevard Saint-Père«, sagte er.

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    »Das ist auch mein Halbbruder«, bemerkte der Kammerdiener. »Zwanzig Jahre jünger als ich.«
    »Wir haben uns viel vorzuplaudern, denke ich«, sagte der Staatspräsident, seinen Mörder durch den nun hell erleuchteten Korridor führend.
    Sie betraten ein kleines Zimmerchen, gegen den Quai gelegen, mit Kerzen erhellt und einem Tischchen in einer Fenster-nische, auf dem kostbares Geschirr auf weißem Linnen bereit-stand und funkelnde Kristallgläser.
    »Ich werde ihn erdrosseln«, dachte Archilochos trotzig, »so ist es am einfachsten.«
    »Setzen wir uns, Liebster, Bester«, sagte der höfliche, alte Präsident, Arnolphs Arm leise berührend, »von hier aus können wir in den Hof spähen, wenn es uns Freude macht, auf die Herren von der Wache hinunter mit den weißen Federbüschen, die überrascht wären, jemand bei mir eingedrungen zu wissen.
    Die Idee mit der Leiter ist vortrefflich und freut mich um so mehr, weil auch ich manchmal mit einer Leiter über die Mauer steige, zu nächtlicher Stunde, gerade wie Sie eben, doch dies ganz unter uns. Ein alter Staatspräsident muß eben manchmal auch zu solchen Mitteln greifen, gibt es doch im Leben Angelegenheiten, die zwar einen Ehrenmann, aber nicht die Herren von der Presse angehen. Ludewig, schenk uns den Champagner ein.«
    »Danke schön«, sagte Archilochos, »aber ermorden werde ich ihn trotzdem«, dachte er.
    »Und dazu Hähnchen«, freute sich der alte Herr, »das haben wir immer in der Küche, Ludewig und ich, Champagner und Hähnchen nachts um drei. Das ist etwas Vernünftiges. Ich nehme an, Ihre Mauerbesteigung hat Sie ordentlich hungrig gemacht.«
    »Etwas«, sagte Archilochos ehrlicherweise und dachte an seine Fassadenkletterei. Der Kammerdiener servierte aufs würdigste, wenn auch mit bedenklichem Zittern.

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    »Kümmern Sie sich nicht um Ludewigs Schlottern«, sagte der Staatspräsident. »Er hat schon sechs meiner Vorgänger bedient.«
    Arnolph reinigte seine Brille mit der Serviette. Die Bombe wäre bequemer gewesen, dachte er. Er wußte immer noch nicht, wie er vorgehen sollte. Er konnte nicht gut »entschuldi-gen Sie« sagen und mit Würgen beginnen; auch mußte noch der Kammerdiener umgebracht werden, damit er nicht die Wache holte, was das Unternehmen komplizierter gemacht hätte. So aß und trank er, zuerst Zeit zu gewinnen, sich den neuen Umständen anzupassen, dann, weil es ihm gefiel. Der würdige alte Herr tat ihm wohl. Es war ihm, als säße er bei einem Vater, dem er alles gestehen könne.
    Das Hähnchen munde vortrefflich, lobte der Staatspräsident.
    »Wirklich«, gab Archilochos zu.
    »Auch der Champagner ist in Ordnung.«
    »Ich habe nie gedacht, daß es sowas Köstliches gibt«, bekannte

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