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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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mitten im Getümmel der Leiber bemerkte er die offene Höhle eines runden Fensters. Er wagte sich in die Marmorgötterwelt hinauf, geriet zwischen gewaltige Brüste und Schenkel, in beständiger Sorge, die Bombe in seiner Manteltasche könnte explodieren, kroch an Heldenbäuchen, an gebogenen und verrenkten Rücken entlang, konnte sich einmal nur noch am gezückten Schwert eines Kriegers halten, da er sich schon abgestürzt glaubte, und preßte sich angstvoll in die Arme einer sterbenden Amazone, deren mondenes Antlitz ihn zärtlich betrachtete, während nun tief unter ihm die Leibwache zum dritten Mal die Runde vollendete und stehenblieb.
    Archilochos sah, wie die Wache in den hellen Park trat und die Schloßfassade betrachtete.
    »Da ist jemand hinaufgeklettert«, sagte einer der beiden nach langem Spähen.
    »Wo?« fragte der andere.

    109

    »Dort.«
    »Unsinn, nur ein Schatten zwischen den Göttern.«
    »Sind keine Götter, sind Amazonen.«
    »Was ist denn dies?«
    »Weiber mit nur einer Brust.«
    »Haben aber zwei.«
    »Vergeßlicher Bildhauer«, meinte der erste. »Aber es klebt doch einer da oben. Will ihn mal herunterholen.«
    Er legte das Gewehr an. Archilochos rührte sich nicht.
    Der andere reklamierte: »Willst du das ganze Quartier wek-ken mit deiner Schießerei?«
    »Es ist aber einer.«
    »Es ist keiner. Da hinauf käme auch niemand.«
    »Hast eigentlich recht.«
    »Siehst du? Gehen wir!«
    Die zwei zogen davon, im Taktschritt, die Gewehre wieder geschultert. Arnolph kletterte weiter, erreichte endlich das Fenster, kroch hindurch. Er befand sich im zweiten Stock, in einem hohen, kahlen Abort, erfüllt mit Mondlicht, das durch das offene Fenster fiel. Er war todmüde, von der Kletterei mit Staub und Vogeldreck überzogen und vom jähen Wechsel zwischen der marmornen Götterwelt und seinem jetzigen Aufenthalt ernüchtert. Er atmete schwer. Er öffnete die Türe und befand sich in einer weiten Halle, die sich zu beiden Seiten in Säle öffnete, auch sie vom Mond erhellt, mit Statuen zwischen den Säulen; nur undeutlich erriet er die breitgeschwun-gene Treppe. Er schritt vorsichtig nach dem ersten Stockwerk hinunter, erreichte den Korridor, von dem ihm der Sekretär erzählt hatte, spähte durch die hohen Fenster auf der Quaiseite, erschrak, als ihn die Lichter der Stadt blendeten. Unten auf dem Hof fand eine Wachtablösung statt, eine feierliche Zere-monie mit Salutieren, Hacken zusammenschlagen, Strammste-hen und Stechschritt. Er glitt ins Dunkel zurück, schlich gegen die Schlafzimmertüre am anderen Ende des Korridors und 110

    öffnete sie leise, die Handgranate in der Rechten. Durch die hohe Balkontüre fiel schimmerndes Mondlicht, es war die Türe, vor der er draußen gestanden hatte. Er trat in den Raum, nach dem Bett zu spähen und die Handgranate zu werfen, doch befand sich kein Bett in ihm, kein schlafender Staatspräsident, nur ein Korb mit Geschirr. Sonst war das Zimmer leer. Nichts stimmte. Auch Anarchisten mußten bisweilen falsch orientiert sein. Verwirrt zog er sich zurück und begann trotzig nach seinem Opfer zu suchen. Er stieg in den zweiten Stock, die Bombe bereit, dann in den dritten, durchwanderte Prunk- und Staatssäle, Konferenzzimmer, Korridore, kleine Salonzimmer, drang in Büros mit verhüllten Schreibmaschinen, in Gemälde-galerien, in einen Waffensaal mit alten Rüstungen, Kanonen-rohren und hängenden Fahnen, wo ihm eine Hellebarde den Ärmel aufschlitzte. Endlich, als er in den vierten Stock stieg, vorsichtig der Marmorwand entlang, schimmerte auf ihr ein Schein. Irgend jemand mußte Licht gemacht haben. Er faßte Mut und schritt weiter. Die Handgranate verlieh ihm ein Gefühl von Macht. Er betrat den Korridor. Die Müdigkeit war verschwunden. Er spähte den Korridor entlang, der bei einer Türe endete. Sie war halb offen. Im Zimmer brannte Licht. Er eilte über den weichen Teppich, doch stand, als er die Türe aufriß, die Hand mit der Granate erhoben, der Staatspräsident vor ihm, im Schlafrock, so überraschend, daß Archilochos eben noch die Bombe in seiner Manteltasche verbergen konnte.

    23

    »Entschuldigen Sie«, stammelte der Attentäter.
    »Da sind Sie ja, lieber verehrter Herr Archilochos«, rief der Staatspräsident freudig und schüttelte dem verwirrten Griechen die Hand: »Habe Sie erwartet, den ganzen Abend, und nun sah 111

    ich Sie zufällig von meinem Fenster aus über die Mauer steigen. Eine gute Idee. Meine Leibwache ist viel zu pedantisch.
    Die Kerle

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