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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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kräftigen Farben lackiert, keine ähnelte einer anderen. Sie sahen aus wie Portale in andere Welten, wie Zaubertüren, die Verwunschenheit und Magie im Inneren der scheinbar armseligen Häuschen verborgen hielten.
    »Die Liberties«, murmelte Theryon und ließ Mia den Blick heben. »Früher war dieses Viertel eine Handwerkergegend und noch immer leben hier die einfachen Leute.«
    Remis sog die Luft ein. »In Reichweite der Guinness-Brauerei, würde ich meinen.«
    Grim lachte leise. »Du solltest durch die Nase atmen«, sagte er mit spöttischem Grinsen. »Sonst bist du betrunken, bevor du
Pint
sagen kannst.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Wir sollten nicht zu lange hier bleiben. Die Wolken hängen tief, es riecht nach Schnee. Mein Gefühl sagt mir, dass noch einige unliebsame Überraschungen auf uns warten, wenn wir diesen ... diesen Zwerg nicht bald finden.«
    Mia zog den Zettel Folpurs aus der Tasche ihres Mantels. »Hortensius Palmadus Fahlon, Buchbinder«, las sie. Die Alte Sprache der Zwerge, in die Theryon sie während ihrer Hartidausbildung eingeführt hatte, lag auf ihrer Zunge wie ein schwerer glatter Stein. »Er wohnt in der Ardee Street.«
    Theryon schaute ihr über die Schulter. »In der Anderwelt auch Schummergasse genannt«, sagte er und schritt ohne ein weiteres Wort geradeaus.
    Mia wechselte mit Grim einen Blick. Gemeinsam eilten sie dem Feenkrieger über das Kopfsteinpflaster nach, das an zahlreichen Stellen von einem Netz eisblauer Farne überwuchert wurde.
    »Woher kommt es eigentlich, dass du so viel über diese Stadt weißt?«, fragte Grim.
    Theryon lächelte, während sein Blick über die Fassaden der Häuser strich wie eine Feder über nackte Haut. »Es gibt keinen Alb auf der Welt, der nicht viel über sie weiß«, erwiderte er leichthin. »Wir alle wurden auf dieser Insel geboren, und wir alle lebten einst in Frieden mit den Menschen — lange bevor das Gedächtnis der Welt zum Historienschreiber wurde. Wir sind mehr als Figuren aus Märchen, wisst ihr das nicht? Unsere Geschichte wurde zerrissen, doch noch immer steckt sie in diesen Häusern, in den Straßen und Bäumen dieser Stadt wie Fetzen eines zerschlissenen Kleides, die der Wind nicht davonwehen kann. Und wenn ihr genau hinseht, fühlt ihr den Zauber, den meine Ahnen in die Welt trugen, noch immer in den Augen der Menschen von Irland.«
    Mia erinnerte sich an die gleichmütige Art, mit der die Bewohner dieser Stadt, die sie in Temple Bar gesehen hatte, mit den Veränderungen der Welt umzugehen schienen, und hörte im selben Moment einen Brauereiwagen über das Kopfsteinpflaster der Straße rumpeln, die die Gasse kreuzte, auf der sie sich gerade befanden. Grim wollte sich in die Luft erheben, doch Theryon hielt ihn zurück. Regungslos sahen sie, wie der hölzerne Wagen, der von einem fleckigen Kaltblut gezogen wurde, über die Straße rollte. Ein alter Mann saß zusammengesunken auf dem Kutschbock, den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen. Die ersten Flocken fallenden Schnees landeten auf seinem breitkrempigen Hut, und Mia konnte die Atemwolken sehen, die aus seinem Mund in die Nacht stiegen. Er war schon fast hinter dem nächsten Häuserblock verschwunden, als er den Kopf wandte und sie erblickte. Mia hielt den Atem an, sie spürte, wie Grim zusammenfuhr. Erstaunen flackerte durch den Blick des alten Mannes, doch dann lichteten sich seine Augen — es war, als wäre ein Funken in ihn hineingefallen und hätte tief in seinem Inneren ein Feuer entfacht. Ein Grinsen überzog seinen Mund, er lachte auf, zahnlos und rau. Dann hob er die Hand an die Krempe seines Hutes und grüßte freundlich. Im nächsten Augenblick war er hinter der Häuserwand verschwunden. Die Hufe seines Pferdes klackerten auf dem Kopfsteinpflaster wie Morsezeichen aus einer anderen Zeit.
    Theryon lachte über Grims verwundertes Gesicht. »Der Zauber, der noch immer in den Menschen von Irland wohnt«, murmelte er und setzte seinen Weg fort.
    Sie brauchten nicht weit zu gehen. Bereits wenige Seitenstraßen weiter blieb Theryon vor einem zweigeschossigen Backsteinbau mit einer flackernden Laterne neben sich stehen. Dieser wirkte ein wenig windschief mit seinem winzigen Schornstein und den kleinen Fenstern, in denen sich an den Rändern die schneenasse Straße spiegelte. Ein mattes grünes Licht glomm hinter schweren Vorhängen und ließ das Häuschen von außen wirken wie ein düsterer Lampion. Mia spürte, wie ihr Atem schneller ging. Hinter dieser Tür

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