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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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verwandeln.
    Mit zitternden Knien ging Mia neben Grim und Lyskian durch den Jardin des Tuileries, den einstigen Barockpark mit seinen weißen Statuen. Viele Menschen folgten ihnen. Es war, als hätten sie in schweigender Übereinkunft beschlossen, zusammenzubleiben, instinktiv wie Schafe sich aneinanderdrängen, wenn Wolfsgeheul erklingt. Mia griff nach Grims Klaue, als die Büsche und Hecken ihre Zweige wie Finger nach ihr ausstreckten, und nicht nur einmal fing sie ein nachtschwarzes Lächeln von einer der Statuen auf.
    Da flackerten Nordlichter am Himmel auf, die Menschen blieben stehen und schauten zu den Schleiern hinauf, die wie gewandete Geister miteinander tanzten. Mia spürte, wie eine seltsame Ruhe sich um ihre Schultern legte, ein unerklärliches Gefühl des Ankommens und Befriedigtseins, als sie die Lichter betrachtete, und sie hörte hingerissene Rufe des Staunens von den Menschen, als wären sie Kinder und würden zum ersten Mal sehen, wie es schneit. Mia löste den Blick vom Himmel. Auf den Gesichtern der Menschen lag eine zerbrechliche Ahnung von Frieden.
    Sie sog die Luft ein, und erst da bemerkte sie, wie kalt es auf einmal geworden war. Grim zog sie an sich, ein seltsames Dröhnen rollte auf sie zu, und dann zerriss ein Blitz die Nacht, so hell und gleißend, dass jegliche Umrisse und Bilder verglühten wie ein Tropfen Wasser in heißer Sonne.
    Geblendet fuhr Mia zusammen, der Park versank in schneeweißem Licht, und sie sah in Hunderte, nein, Tausende und Abertausende reglose Gesichter. Feen waren es, das wusste sie, und sie trugen silberne Rüstungen. In ihren Händen hielten sie Schwerter und Speere, viele saßen auf Pferden, und alle schauten Mia an. Sie wusste, dass sie gerade einen Blick in die Feenwelt warf, dass sie das sehen konnte, was hinter der Grenze lag. Dieses Heer wartete darauf, dass der Wall endgültig fallen würde — und dann würden die Feen kommen und die Menschen töten, die bereits jetzt vor ihnen zurückwichen, ängstlich und ahnungslos, aber tief in ihrem Inneren fühlend, dass eine grausame Macht darauf wartete, einen Fuß in ihre Welt zu setzen.
    Dann erlosch der Blitz, und mit ihm verschwanden die Nordlichter. Stattdessen begann es zu schneien, und Nebel zog auf, weißer, klebriger Nebel. Mia hörte die panischen Rufe der Menschen, die sich zerstreuten und im Nebel untertauchten, der zusehends dichter wurde. Schon reichte er Mia bis zur Brust, dann war sie vollkommen darin verschwunden. Sie hielt Grims Klaue fest und spürte Lyskians Kälte neben sich, doch ihre Augen waren blind geworden. Sie sah nichts als endloses Weiß.
    »Grim«, flüsterte sie und spürte einen Schauer der Erleichterung, als er mit sanfter, ruhiger Stimme antwortete. »Sie werden uns töten, nicht wahr?«, fragte sie. »Uns alle.«
    Grim schwieg für einen Moment. »Sie brauchen nichts als das Zepter, um die Grenze einzureißen«, sagte er dann. »Sobald das geschehen ist, werden sie es vernichten und die Menschheit auslöschen. Die Königin hasst dein Volk seit langer Zeit. Doch wir ...«
    In diesem Moment wurde Mia durch ein heftiges Beben von den Füßen gerissen. Sie flog ein ganzes Stück weit durch die Luft und prallte mit dem Rücken gegen eine Statue. Benommen fiel sie auf die Knie. Eine weiße Hand streckte sich ihr entgegen, es war ein steinerner Minotaurus mit tiefblauen Augen, der ihr mit leichter Verbeugung auf die Beine half. Mia brachte ein Lächeln zustande, ehe der Minotaurus, ohne ein Wort zu sprechen, im etwas lichter gewordenen Nebel verschwand. Sie fuhr sich über die Augen, schemenhaft konnte sie ihre Hand erkennen und die vagen Umrisse einiger Sträucher.
    »Grim!«, rief sie und hörte, wie ihre Stimme vom Nebel verschluckt wurde.
    Keine Antwort. Stattdessen hörte sie ein Husten, es war ein angestrengter, heiserer Laut ohne jeden Klang, und doch wusste Mia, von wem er stammte: Jakob. Sofort schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie sah eine Gestalt nicht weit von ihr, einen Menschen auf der Flucht. Vorsichtig folgte sie ihm durch den Nebel, bis sie den kleinen Jahrmarkt der Tuileries erreichte. Gespenstisch hob sich das Riesenrad im Nebel ab, die Buden waren verlassen. Geistergleich drehte sich ein Karussell mit hölzernen Pferden, und Mia nahm den Geruch von gebrannten Mandeln und Popcorn wahr. Blitzschnell sammelte sie einen Feuerzauber in der rechten Hand. Der Jahrmarkt war geschlossen. Sie stand mitten in einer Illusion — einer Falle. Und Jakob, er war ...
    »Mia«,

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