Grim - Das Erbe des Lichts
sollte. Nun saßen Kobolde neben Vampiren, Gargoyles neben Hybriden, und Grim ließ sich von ihren Stimmen durchströmen wie von warmem Regen.
Er wandte den Blick und sah Mia an, die neben Pheradin, dem Sprecher der Mutanten, auf der gegenüberliegenden Seite von Mouriers Thron saß. Instinktiv fuhr er sich mit der Klaue an die Brust.
Die Scherbe wird mich töten,
hatte Mia geflüstert, als er sie im Nebel gefunden hatte, und ihn dabei angesehen, als würde sie ihre Worte bereuen, als wollte sie ihm diese Wahrheit ersparen.
Sie wird zu meinem Herzen wandern, und wenn sie es erreicht hat, werde ich sterben — es sei denn, die Königin stirbt vor mir.
Mia bemerkte seinen Blick, sie lächelte, doch die Geste blieb blass in ihrem angespannten Gesicht. Grim holte Atem und wandte sich wieder dem Fenster zu. Er war dagegen gewesen, dass sie an dieser Sitzung teilnahm, doch als Botschafterin der Hartide war es ihr Recht, bei Versammlungen des Senats anwesend zu sein, und selbstverständlich hatte sie trotz ihrer noch immer geschwächten körperlichen Verfassung auf diesem Recht bestanden.
Es geht um die Menschen,
hatte sie gesagt, und Grim sah ihren entschlossenen Blick im Spiegelbild des Fensters wie eine Erinnerung.
Es geht um Jakob. Ich werde nicht im Bett liegen, während der Senat über sein Schicksal entscheidet.
Die Tore des Senatssaals wurden geschlossen, steinerne Saaldiener nahmen ihre Positionen neben den Säulen ein und schauten regungslos geradeaus. Grim schritt durch die Reihen, warf Remis einen kurzen Blick zu, der wie üblich auf der Lehne seines steinernen Sessels Platz genommen hatte, und setzte sich neben Mourier.
Der Löwe nickte ihm zu, dann erhob er sich würdevoll und ließ seinen Blick über die Reihen der Anwesenden schweifen. Die Gespräche verstummten. Aufmerksam schauten die Senatoren zu ihrem König auf.
»Die schreckliche Mordserie in der Oberwelt von Paris wurde aufgeklärt«, begann Mourier mit ruhiger, hoheitsvoller Stimme. »Schattenalben waren es, die zahlreiche Menschen töteten, um ihre Kräfte für eine bevorstehende Schlacht zu stärken. Mithilfe der Alben gelangten einige Feen in die Oberwelt und brachten in der vergangenen Nacht das Zepter der Yartholdo an sich, mit dem sie den Einriss der Grenze zu ihrer Welt einläuteten. In wenigen Tagen wird der Wall gefallen sein. Dann wird eine Armee, die es leicht mit der Anderwelt aufnehmen kann, die Menschheit auslöschen, und die Veränderungen, die sich schon jetzt vielerorts in der Menschenwelt bemerkbar machen, werden sich vollends entfalten: Technische Errungenschaften wie Automobile oder Fabriken versagen dann flächendeckend ihre Dienste, Straßen und Bauwerke der Menschen stürzen in sich zusammen, und wilde, ungezügelte Natur wird zu neuem Leben erweckt. Die moderne Zivilisation wird wieder fruchtbar, die Kontrolle der Menschen über die Welt wird gebrochen. Wir sind zusammengekommen, um darüber zu beraten, wie unsere Reaktion auf diese Aussichten und Ereignisse ausfallen soll. Zunächst erteile ich dem Polizeipräsidenten der Stadt das Wort.«
Grim erhob sich. Er spürte die Blicke der Senatoren und sah Mia klein und zerbrechlich in ihren Reihen sitzen. Pheradin wirkte neben ihr wie ein gewaltiger steinerner Engel mit seinen schwarzen Schwingen und den regungslosen, unergründlichen Augen.
»Ghrogonier«, begann er und ließ seine Stimme über die Ränge branden wie schäumende Wellen. »Wir stehen vor einer Schlacht. Nicht genug damit, dass die Schattenalben die Oberwelt von Paris wochenlang in Atem hielten, bestialische Morde an den Menschen begingen und damit den Zauber des Vergessens gefährdeten. Mit ihrer Hilfe sind Feen in unsere Welt zurückgekehrt, und wie unser König bereits sagte, haben sie unter ihrer grausamen Herrscherin, der Schneekönigin, das Menschenzepter an sich gebracht. Während dieser Tat und bereits zuvor griffen sie und die Alben Menschen und Anderwesen an, töteten sie oder verwundeten sie schwer. Auch Theryon, uns allen als der letzte Feenkrieger unserer Welt bekannt, wurde von ihnen so stark verletzt, dass er in diesen Minuten mit dem Tod ringt. Doch damit nicht genug: Die Schneekönigin will die Menschheit auslöschen und damit die Lebensgrundlage der Gargoyles vernichten: die menschlichen Träume. Noch ist die Grenze nicht gefallen — noch können wir die wenigen Feen, die durch die Alben in diese Welt gelangt sind, zurückschlagen. Doch wir müssen schnell handeln. Die Schneekönigin und
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