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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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flüsterte es neben ihrem Ohr.
    Mit einem Schrei fuhr sie herum, schleuderte ihren Zauber und wurde von dessen Wucht rücklings zu Boden geworfen. Schwarzer Rauch durchzog den Nebel, und vor ihr stand — Alvarhas. Hoch aufgerichtet schaute er auf sie herab, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Er legte keinen Bann auf sie, er sammelte keinen Zauber. Er wusste, dass sie keine Chance hatte gegen ihn. Mia stürzte in die kristallene Finsternis seines gesunden Auges und fühlte den Blick des anderen mit glühender Kälte auf ihrer Haut. Einen Moment lang war sie fest davon überzeugt, dass er sie töten würde. Doch dann sah sie das Lächeln auf seinen Lippen, dieses grausame, gierige Lächeln, das sein Gesicht in eine Maske verwandeln konnte, die jedes Gefühl hinter sich verbarg. Langsam kam er auf sie zu, seine Schritte verursachten nicht das geringste Geräusch auf dem Boden. Er streckte seine Hand aus und bot sie ihr an. Mia wollte sie wegschlagen oder ausspucken, sie spürte unbändigen Zorn in sich. Doch stattdessen bewegte sich ihre rechte Hand nach vorn, sie tat es gegen ihren Willen, es war, als hinge sie an Schnüren, die Alvarhas mit seinem Blick bewegte. Etwas in ihr schrie laut und unmenschlich, als sie ihre Hand in die des Albs legte. Seine Finger waren warm auf ihrer Haut.
    Schweigend half er ihr auf und deutete an ihr vorbei zu einer der Buden. Wind wehte um die Bretter, Mia roch den modrigen Duft von verfaulendem Holz. Kälte flog sie an, als eine Gestalt durch den Nebel trat. Für einen Moment blieb Mias Herz stehen.
    »Jakob«, flüsterte sie.
    Er war es, eindeutig, ihr Bruder stand vor ihr mit seinen blonden, zerzausten Haaren und den dunklen Augen voller Verzweiflung. Er öffnete den Mund, sie sah die Tränen, die über seine Wangen liefen. Langsam streckte er die Hand aus, aber als Mia zu ihm laufen wollte, spürte sie Alvarhas' Arm, der sich um ihre Schultern legte. Jakob trat einen Schritt auf sie zu, doch im selben Augenblick tauchte eine Gestalt hinter ihm aus dem Nebel. Sie war weit entfernt, aber Mia erkannte sie dennoch: Es war eine Frau ganz in Weiß — die Schneekönigin.
    Jakob hielt inne, es war, als zöge die Fee ihn zurück. Mia spürte die Fesseln, die die Königin um seine Brust geschlungen hatte, sie sah den Kampf in seinen Augen, das Ringen mit einem fremden Willen, das er nicht gewinnen konnte. Schweißperlen traten auf seine Stirn. Durch seinen Blick flackerte etwas von der alten Schwärze, die keine Furcht kannte und keinen Zweifel. Doch dann wurde sein Gesicht kalt, und Mia spürte den eisigen Hauch, der nach Jakob griff und ihn durchdrang, bis er sich abwandte und Schritt für Schritt auf die Schneekönigin zuging. Regungslos blieb er neben ihr stehen und sein Blick war so leer, dass Mia Tränen in die Augen traten.
    Da strich Alvarhas'Atem über ihre Wange. »Einfältiges Menschenkind«, flüsterte er, und ihre Tränen gefroren zu funkelnden Tropfen aus Eis. »Wir bekommen euch alle. Theryon, der Narr, konnte zwar den Bann der Königin von dir nehmen — aber die ureigene Macht der Scherbe, die du in dir trägst, konnte er nicht brechen.«
    Als hätten seine Worte einen Zauber gesprochen, durchzog ein heftiger Schmerz Mias Brustkorb, und lähmende Kälte strömte von der Scherbe in ihren Körper. Sie schaute durch den Nebel, spürte Jakobs Blick, der hilflos und verzweifelt an ihr hing, und sah in die kalten, gleichgültigen Augen der Schneekönigin.
    »Nur ihr Tod«, raunte Alvarhas, doch für einen Augenblick war es Mia, als würde die Fee selbst zu ihr sprechen.
Nur mein Tod,
flüsterte der Wind, der über den Boden kroch wie ein lebendiges Wesen und Mia das Haar zurückriss, als wollte er ihr die Kehle durchschneiden.
    »Der Tod derer, die sie erschaffen hat, könnte die Scherbe vernichten«, fuhr Alvarhas fort. »Unaufhaltsam wird sie ihrem Fluch folgen und zu deinem Herzen wandern, und wenn sie es erreicht hat ... dann wirst du sterben.«
    Mia spürte ihr Herz nicht mehr. Nur noch Kälte war in ihr, eine gleichgültige, betäubende Kälte, die der Blick der Königin und Alvarhas' Worte in sie pflanzten. Mit sanfter Geste strich der Alb ihr über die Wange.
    »Keine Sorge«, flüsterte er. »Deinem Bruder kann die Scherbe nichts anhaben, die in seinem Herzen steckt — denn er ist ja bereits tot ... oder so etwas Ähnliches. Nur der Wille der Königin hält ihn in dieser Welt, doch wenn es ihr beliebt, kann sie ihn fortschicken — weit fort, bis in das Reich, in das

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