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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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mehr gemein als mit ihnen«, flüsterte sie und trat so nah an ihn heran, dass er die feinen Eiskristalle auf ihrer Haut sehen konnte. Theryons Stimme hallte durch seinen Kopf.
Und sie flog mit ihm, flog hoch hinauf auf die schwarze Wolke, und der Sturm sauste und brauste; es war, als sänge er alte Lieder.
Grim spürte die Kälte, die in ihn eindrang, doch sie schmerzte ihn nicht, im Gegenteil: Sie kühlte seine Stirn und die Unruhe, die in der Kluft seines Inneren darauf lauerte, ihn zu verschlingen.
    »Sieh hin«, fuhr sie fort, und er spürte, wie er gezwungen wurde, ihrem Blick zu folgen, der über die Menschen glitt. Er sah das Entsetzen in deren Augen, die Furcht — und schwarz und klein den Hass, mit dem sie ihn betrachteten. Ja, sie schauten nicht die Schneekönigin an — auf ihm ruhten ihre Blicke, als wären sie Schafe und er der ausgehungerte Wolf. »Die Menschen«, zischte die Königin, und ihre Stimme umhüllte ihn wie ein Tuch aus weichem, schwarzen Samt. »Sie fürchten dich, wie sie uns fürchten. Sie sind blind und taub, und sie verdienen die Welt nicht, die sie sich untertan gemacht haben. Ich sage dir: Du stehst auf unserer Seite, nicht auf ihrer. Entscheide dich für die Welt, in die du gehörst, die Welt, die dich geboren hat. Entscheide dich für die Anderwelt, der du ein Fremder geworden bist, ein Fremder und ein ... Menschenfreund ...«
    Grim spürte, wie das Wort mit eisigen Klauen über seine Lippen strich. Unendlich langsam beugte die Königin sich vor. Noch immer klaffte die Wunde in ihrer linken Wange, doch Grim sah sie kaum noch. Ihr Haar strich über sein Gesicht, es war, als fielen Schneeflocken auf seine Haut.
    »Folge mir«, flüsterte sie sanft. »Folge mir nach Svalbard, zu meinem Schloss im Norden, mein magisches Reich in dieser Welt. Dort werden wir warten, bis alles bereit ist für unsere Schlacht, und dann ...« Sie hielt inne und lächelte. »Ich kenne deinen Zwiespalt, den Riss in deiner Brust — genau hier.« Lautlos legte sie die linke Hand auf sein Herz, das sich für einen Moment krampfhaft zusammenzog. »Du bist krank. Und ich ... ich kann dich heilen.«
    Sie zog sich ein wenig zurück. Noch immer lächelte sie, ihr Gesicht war wie ein Kristall mit wunderschönen, dunklen Augen. Für einen Moment wollte er den Kopf neigen, er wollte der Stimme der Königin folgen, diesem lockenden, rätselhaften Klang, der den Abgrund in seiner Brust mit einem einzigen Wort verschließen konnte.
    Doch er tat es nicht.
    Stattdessen zwang er sich, auf Mias Herzschlag zu hören, diesen schwachen, menschlichen Ton, der die Kälte um ihn herum zerriss und die Dunkelheit in seinem Inneren wie ein zärtliches Flüstern erhellte.
    »Nein«, sagte er leise.
    Er sah Zorn und Enttäuschung über das Gesicht der Königin flackern, dicht gefolgt von etwas, das ihm naheging — ein Flüstern in seinem Kopf. Noch einmal lächelte sie, doch diese Geste hatte jede Wärme verloren. Sie war nicht mehr als eine Maske, eine trügerische Decke aus Schnee über einem gerade zugefrorenen See. Dann wandte sie sich ab.
    »Ich bin die Königin der Feen«, sagte sie und legte genussvoll den Kopf zurück, als einige Menschen erschrocken aufschrien. »Und ich bin gekommen, um das Geburtsrecht meines Volkes zurückzufordern. Lange vor euch haben wir in dieser Welt gelebt — lange vor euch haben wir Kriege geführt und Schlachten geschlagen. Euretwegen haben wir die Welt verlassen. Ihr habt uns vertrieben. Doch seht euch an! Seht hin! Schaut auf die Welt, die ihr erschaffen habt!« Sie hielt inne.
    Grim fühlte das Brennen ihrer Wut auf seinem Körper und konnte nicht verhindern, dass es langsam wie kleine schwarze Flämmchen in seinen Brustkorb sank.
    »Eine Wüste habt ihr euch geschaffen«, fuhr die Schneekönigin fort. »Eine Ödnis, in der kein Geschöpf der Freude und des Lichts existieren kann. Ihr ahnt nicht, wie kalt die Welt sein wird, die ihr errichten wollt! Lange hat mein Volk zugesehen, wie ihr die Welt abgehäutet und vernichtet habt. Lange haben wir euch erduldet. Doch nun —«, sie riss das Zepter der Yartholdo in die Höhe, das sich mit ihrem Arm verbunden hatte. Ein Schrei ging durch die Reihen der Menschen, Grim sah die heillose Panik, die deren Gesichter seltsam jung machte. »Nun ist das vorbei!«
    Grim hörte die durchdringenden Worte des Zaubers — jene Worte, mit denen die Königin die Grenze zur Feenwelt zum Einsturz bringen würde. Ein tiefes Grollen drang durch die Erde, ein Geräusch

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