Grim - Das Siegel des Feuers
schon ganz blass um die Nase.«
Grim knurrte unwillig, aber Mia musste Remis zustimmen. Tatsächlich lag über Grims sonst pechschwarzer Haut ein kaum merklicher grauer Schleier, und seine Augen glänzten, als hätte er Fieber. Instinktiv wollte sie ihm die Hand auf die Stirn legen, aber er wich zurück.
»Noch besteht kein Grund zur Sorge«, sagte er abwehrend. Er deutete auf die Sammelstation. »Damit sieht es schon anders aus. Wer auch immer das hier aufgestellt hat — er ist gefährlich. Wir müssen ...«
Weiter kam er nicht. Ein Brüllen hallte durch die Räume, und zwei Menschen stürzten ins Zimmer, die Gesichter in heillosem Entsetzen verzerrt. Sie hielten einander bei den Händen. Panisch sahen sie sich um, als suchten sie ein Versteck. Ihre Blicke glitten durch Mia, Grim und Remis hindurch, es war fast so, als würden sie sie gar nicht sehen. Da erklang das Brüllen erneut. Eine dunkle Gestalt brach durch die Tür, sie zog ein Schwert durch die Luft. Die Menschen schrien in Todesangst. Im letzten Moment riss Grim Mia zu Boden. Schon sprangen die Menschen über sie hinweg, das Schwert zischte heran — und im nächsten Augenblick ergoss sich Blut auf Mias Gesicht. Sie fuhr sich über die Augen — doch an ihren Fingern blieb nichts haften als feiner Staub. Sie sah sich um. Das Zimmer war leer.
Grim atmete aus. »Was ich vorhin sagen wollte: Wir müssen vorsichtig sein.«
Leise setzten sie ihren Weg fort. Die Räume unterschieden sich kaum voneinander. Alle waren ausgebrannt und bargen nur noch wenige Möbel. Nachdenklich strich Mia über ein verkohltes Bild, das auf einer Anrichte stand, und spürte auf einmal, wie ihre Füße feucht wurden. Erschrocken sah sie, dass sich der Boden, auf dem sie stand, in eine Sumpflandschaft verwandelt hatte. Rasch sank sie tiefer.
»Phantastisch«, murmelte Grim und kämpfte sich durch den Morast zu ihr. Er fasste sie unter, und gemeinsam erreichten sie sicheren Boden. Aufatmend sah Mia sich um — der Morast verwandelte sich wieder in die Holzdielen des Zimmers.
»Was auch immer hier los ist, so langsam habe ich genug davon«, grollte Grim düster.
»Es sind Träume«, sagte Mia. Sie wusste selbst nicht, wie sie darauf gekommen war — aber auf einmal gab es nicht mehr den geringsten Zweifel. Sie sah Grim an. »Wer auch immer hier lebt — er kann nicht träumen, aber dafür sind die Räume voller Albträume und Erinnerungen.«
Remis seufzte. »Also die Kerle da draußen in der Stadt kamen mir ziemlich echt vor.«
»Die schon ... Aber das hier ...«, Mia biss sich auf die Lippe, »das ist nicht wirklich.«
Grim erwiderte nichts, doch es lag ein Ausdruck in seinen Augen, der sie für komplett verrückt erklärte. Schweigend lief sie hinter ihm durch verlassene Räume, angespannt darauf gefasst, neuen Spukgestalten zu begegnen, und immer wieder sah sie tatsächlich verletzte Gargoyles, die durch die Zimmer wankten, Menschen, die mit abgerissenen Gliedmaßen in den Ecken hockten und schrien, und verkohlte Überreste einst lebendiger Wesen. Doch sobald sie die Gestalten ansah, verschwanden sie wieder.
»Als wären wir in einen Traum geraten, der nicht uns gehört«, sagte sie leise.
Grim schwieg. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und witterte. Eine steile Falte bildete sich zwischen seinen Augen. »Riecht ihr das?«, fragte er, wartete eine Antwort aber nicht ab. Lautlos durchquerte er mehrere Zimmer. Mia folgte ihm und bald roch sie es auch: Es duftete nach Blumen. Schwer und süß zog der Geruch durch die verbrannten Räume.
Vor einer niedrigen Tür blieb Grim stehen. Er sog langsam die Luft ein. »Also das hier«, begann er, »ist jedenfalls kein Traum.«
Mia schaute ihm über die Schulter. Vor ihnen lag ein prunkvoller Saal, der über und über mit weißen Lilien geschmückt war. Kerzen flackerten auf silbernen Ständern, und dort, auf einem Bett aus heller Seide, lag eine Frau. Sie trug ein weißes Kleid, ein Hochzeitskleid aus uralter Zeit. Ein Schleier bedeckte ihr Gesicht, und langes schwarzes Haar ergoss sich auf die Kissen. Bezaubert trat Mia näher — und stieß einen Schrei aus. Das Gesicht unter dem Schleier war das einer Toten. Die Haut zog sich wie Pergament über die Knochen, die Augen waren in ihre Höhlen gefallen und hatten nichts als zwei schwarze Löcher hinterlassen, und die Lippen gaben den Blick frei auf ein verfaultes Totengrinsen.
Mia prallte rücklings gegen Grim, der ihr gefolgt war. »Raus hier«, flüsterte sie, ohne den
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