Grim - Das Siegel des Feuers
Faust und hielt es Mia entgegen. »Ich kann euch nicht helfen.«
Ehe sie etwas erwidern konnte, trat Grim neben sie. »Das soll wohl ein Scherz sein«, grollte er. »Wir haben unser Leben riskiert, um hierherzukommen. Ihr könnt uns nicht einfach wegschicken. Ihr müsst doch wissen, was es damit auf sich hat! Das Pergament trägt das Siegel der Freien, Ihr seid der Letzte von ihnen ...«
»Die Freien sind tot!« Pheradin hatte laut gesprochen, seine Stimme hallte in dem Saal wider. »Alles, was wir hatten, wurde vernichtet! Für immer! Alles, was das hier bieten kann, wird Leid sein und Erinnerung an das, was verloren ist! Es ist ein Schatten aus vergangenen Tagen, aber er ist tot! Und ich werde diesen Tod besiegeln!« Er hielt das Pergament in der erhobenen Faust, das Licht der Kerzen flackerte in seinen Augen. Im selben Moment kroch ein Schleier aus Feuer über das Pergament, langsam zog es sich zusammen.
»Das dürft Ihr nicht tun!« Mia sprang vor, doch ehe sie Pheradin erreicht hatte, hob er die Hand. Im nächsten Moment fühlte sie sich von einem gewaltigen Schlag getroffen. Sie flog durch den Raum und krachte mit dem Rücken gegen die Wand.
Benommen fuhr sie sich an die Stirn. Blut benetzte ihre Finger. Pheradin starrte sie an, sein Gesicht war vor Entsetzen verzerrt. Im selben Augenblick zerriss der Schrei einer Frau die Luft.
Gleißend helles Licht flutete den Raum. Mia verlor den Boden unter sich, sie fiel und landete hart auf steinernem Grund. Stöhnend kam sie auf die Füße. Grim stand neben ihr, offenbar war er ebenso verwirrt wie sie. Sie befanden sich in einem hellen Gewölbe, das von mehreren Säulen getragen wurde. Um sie herum saßen Gargoyles und Menschen auf steinernen Sesseln. Sie unterhielten sich und lachten. Kinder liefen zwischen den Sitzenden herum und spielten. Ein Gargoyle mit langem Bart und gewaltigem Fischschwanz hatte sich in einem kleinen Brunnen niedergelassen. Um ihn herum hockten sieben oder acht Menschenkinder und lauschten gespannt einem Märchen. Grim trat an eines der Fenster und schaute hinaus. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen Brauen gebildet. Mia musste lachen, als sich ein Gargoyle eines der herumlaufenden Kinder schnappte und es spielerisch durch die Luft wirbelte. Keiner der Anwesenden schien sie zu bemerken, doch ein Gargoyle kam ihr seltsam bekannt vor. Er lehnte an einer der Säulen und strich zärtlich mit den Fingern durch das lange schwarze Haar einer Menschenfrau. Seine Augen waren dunkel wie eine Nacht ohne Sterne.
»Pheradin«, flüsterte Mia und konnte es nicht glauben. Wie anders sah dieser Gargoyle plötzlich aus! Seine Haut war gesund und ohne jeden Kratzer, seine Haltung stolz, und sein Lächeln kannte weder Trauer noch Verzweiflung.
»Das sind die Freien«, murmelte Grim neben ihr. »Wir sind in ihrer Festung.«
Mia runzelte die Stirn. »Ich dachte, die Freien seien Verräter. Das hier sieht mehr nach einem vergnügten Abend aus, ohne Intrigen gegen irgendwen. Hast du nicht gesagt ...«
»Ich weiß, was ich gesagt habe!«, fuhr Grim sie an. Entschuldigend schüttelte er den Kopf und fuhr leiser fort: »Und ich habe auch gesagt, dass ich mir selbst nicht sicher bin, ob mein Bild von den Freien wirklich zutrifft. Ich weiß nicht, ob ...«
Er verstummte. Eine Gargoylefrau hatte den Raum betreten. Sie trug eine lange Tunika, die Haare hatte sie aufgesteckt. Mia sah Grim an, der wie gebannt zu der Frau hinüberstarrte.
»Moira«, flüsterte er.
Mia wich das Blut aus dem Kopf. Das war Moira, jene Moira, die Jakob das Paket gegeben hatte? Kaum hatte sie das gedacht, hob die Frau den Kopf und sah sie an. Nein, eigentlich sah sie sie nicht wirklich, aber in ihrem Blick lag etwas, als würde sie sie fühlen — als würde sie wissen, dass dort, wo für sie nur Luft war, etwas stand und sie beobachtete. Ein vages Lächeln huschte über ihre Lippen. Doch gleich darauf gefror ihr Blick. Schreckensstarr schaute sie durch Mia und Grim hindurch zum Fenster.
Im nächsten Moment erschütterte ein ohrenbetäubender Knall den Boden. Mia fühlte Grims Arm um ihre Schulter, Gesteinsbrocken flogen ihr um die Ohren, alles war in riesige Staubwolken gehüllt. Gargoyles sprangen über sie hinweg, schwarz gewandet und mit hassverzerrten Gesichtern. Einer von ihnen kam ihr bekannt vor — seine Augen loderten in wütendem Feuer. Es war Thoron, der König der Gargoyles. Mit einem Schrei raste er in die Mitte des Raumes, packte das erstbeste Kind und schleuderte
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