Grim - Das Siegel des Feuers
zuckte die Achseln. »Wenn er es war, scheint er nicht gerade begeistert davon zu sein, uns zu sehen. Und wenn er es nicht war ... Dann hat Pheradin vermutlich vor uns in dieser Zelle gehockt und schon hinter sich, was uns noch blüht.«
Mia stand auf. »So oder so müssen wir herausfinden, wer uns hier gefangen hält. Entweder ist es Pheradin selbst — oder derjenige weiß, was mit Pheradin passiert ist. Zumindest wird er mehr wissen als wir.«
Remis lachte leise. »Und du glaubst, dass er dir das erzählen wird, hm? Vorausgesetzt natürlich, dass er sich überhaupt hierher bequemt, was ich ausschließe, da er uns vermutlich qualvoll verhungern lässt.«
Mia betrachtete das Gitter. Die Stäbe wurden von einem klebrigen schwarzen Film umgeben, aber auf der Rückseite hing ein Schloss an einer Kette. Magisch, natürlich, das kannte sie ja inzwischen — aber kein Problem für sie. Sie griff in ihre Tasche und zog ihr Werkzeug heraus.
»Er braucht nicht zu uns zu kommen«, murmelte sie. »Wir gehen zu ihm.«
Remis schwirrte unruhig in die Luft, als sie das Schloss an der Kette ins Innere der Zelle zog. Grim trat neben sie. »Lass das lieber sein. Ich musste mich heilen, viel Kraft habe ich nicht mehr übrig. Wenn du einen Herzinfarkt bekommst ...«
Mia stieß die Luft aus. »Herzinfarkt«, murmelte sie. »Wer ist denn hier der alte Herr, du oder ich?«
»Für einen Gargoyle bin ich ziemlich jung«, stellte er fest.
Mia erwiderte nichts. Sie schob den Spanner in die Öffnung. Vorsichtig drückte sie Zapfen für Zapfen nach unten und verhakte sie. Mit leisem Knacken öffnete sich das Schloss.
Sie grinste. »Na also. War doch ein Kinderspiel. Ihr immer mit eurer Magie ...«
Ein schwaches Lächeln glitt über Grims Gesicht. Lautlos zogen sie das Gitter auf und verließen die Zelle. Ein breiter Gang erstreckte sich vor ihnen, der auf der rechten Seite von leeren Verliesen gesäumt wurde und sich am Ende in Dunkelheit verlor. Grim ging voraus, Mia hielt sich hinter ihm. Remis hatte sich auf ihre Schulter gesetzt, er stank erbärmlich nach verbranntem Haar. Nichts war zu hören als ihre leisen Schritte und — ganz plötzlich — ein Husten. Grim blieb stehen. Mia hörte, wie er einen Zauber murmelte.
Da trat am Ende des Ganges ein Gargoyle aus den Schatten. Er hatte lange, verfilzte Haare, und sein Gesicht glich dem eines Löwen. Er kam auf sie zu. Mia sah, dass er verletzt war. Blut rann ihm aus der Brust, er presste beide Hände gegen seine Wunde. Grim entließ seinen Zauber und legte einen Schutzwall um sie. Mit fiebrigen Augen sah der Fremde sie an, blieb kurz vor ihnen stehen — und ging einfach durch sie hindurch. Sein Körper löste sich auf, er wurde durchsichtig wie ein Geist. Mia schrie, es fühlte sich an, als würde Eisregen ihre Wangen streifen. Der Gargoyle hatte ihnen den Rücken zugewandt und ging weiter, als wäre nichts geschehen.
»Ein Geist«, keuchte Remis, und Mia hörte, wie seine Zähne aufeinanderschlugen. »Das war ein Gespenst!«
Grim stieß die Luft aus. »Natürlich«, murmelte er. »Fehlt nur noch das weiße Laken ...«
In geduckter Haltung verließen sie den Gang und betraten ein ausgebranntes Zimmer. Verkohlte Möbel standen an den Wänden, vereinzelt lagen Aschehaufen auf dem Boden. In der Mitte erhob sich ein zerbrochener Glaszylinder. Remis schwirrte von Mias Schulter und klopfte dagegen. Ein heller Ton erklang.
»Eine Sammelstation«, sagte er mit fachmännischer Miene. »Hier hat jemand Träume gesammelt.«
Mia zog die Brauen zusammen. »Du meinst die Träume der Menschen?« Nachdenklich ging sie näher und erkannte feinen goldenen Glimmer an der Innenseite des Glases.
»Damit ist meine Vermutung bestätigt«, sagte Grim hinter ihr. »Es war ein Gargoyle, der uns im Park beobachtet hat — und er war es auch, der uns vor diesen Bestien bewahrt hat. Offensichtlich hat er früher die Träume der Menschen hier gesammelt. Aber jetzt ... Er träumt schon lange nicht mehr — viel zu lange.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Gargoyles brauchen die Träume. Werden sie ihnen vorenthalten, kann das Konsequenzen haben. Die Betroffenen werden schläfrig, es stellen sich körperliche Gebrechen ein. Meist verlieren sie dann den Verstand, werden gewalttätig oder suizidal und haben Wahnvorstellungen.«
Remis sah seinen Freund prüfend an. »Die hast du zwar noch nicht, aber so langsam solltest auch du dir Gedanken machen, was deine Reserven an Träumen betrifft, nicht wahr? Du bist
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