Grim - Das Siegel des Feuers
erhobenen Hauptes war dieser in ihr Geheimversteck gekommen und gleich von abfälligen Blicken gemustert worden. Besonders Krallas hatte die Augen verdreht und eine spöttische Bemerkung gemacht.
Zunächst hatte Grim geglaubt, Vraternius würde das hinnehmen — schließlich wurde er als Gnom tagtäglich mit solchen Reden konfrontiert. Aber er hatte Krallas von Kopf bis Fuß gemustert, verächtlich die Luft ausgestoßen und gesagt: »Ihr bezahlt mich, damit ich mein Leben riskiere. Das ist in Ordnung. Aber ihr bezahlt mich nicht, damit ich mich von euch behandeln lasse wie das letzte Stück Dreck. Kapiert?« Keiner hatte auch nur einen Ton gesagt, aber Krallas hatte sich freiwillig gemeldet, um den Gnom mit den kurzen Beinen auf dem Weg durch die Kanalisation auf seinem Rücken zu tragen.
Anspannung lag in der Luft. Noch hatten sie den Dorn nicht erreicht, doch je näher sie ihm kamen, desto größer wurde die Gefahr, dass sie durch patrouillierende Hybriden entdeckt wurden und kämpfen oder fliehen mussten. Die Stimme des Kartenmanns klang in Grim wider.
Dies ist der mächtigste Schwarzmagierorden, den ich jemals gesehen habe.
Er erinnerte sich daran, mit welcher Leichtigkeit Seraphin den kahlköpfigen Hybriden getötet hatte. Ja, es war durchaus möglich, dass nicht alle Mitglieder des Teams unbeschadet aus dieser Sache hervorgingen.
Für einen Moment dachte Grim an Mia. Ob sie sich auf seinem Pieper gemeldet hatte? Er hatte ihn bei Remis zurückgelassen, falls ihm selbst etwas zustoßen und Mia Hilfe brauchen sollte. Er sah ihr Gesicht vor sich, ihr Lächeln — und ihren spöttischen Blick, mit dem sie ihn vermutlich ansehen würde, wenn sie von seinen Gedanken etwas wüsste. Entschlossen schob er ihr Bild beiseite. Stattdessen tauchte Seraphin vor ihm auf, wie er am Rand des Werwolfplatzes stand und mit diesem suchenden, ungläubigen Blick zu ihm herüberschaute. Grim spürte die Fragen auf seiner Zunge, die ihn seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr losgelassen hatten und in ihm brannten wie goldenes Feuer: Wer war Seraphin von Athen? Welches Geheimnis verband sie? Er würde es herausfinden, so viel stand fest.
Mourier blieb stehen und deutete nach oben. Sofort spürte Grim ein leichtes Kribbeln auf der Haut. Sie näherten sich dem Schutzzauber, den Seraphin um den Dorn gelegt hatte. Er vibrierte mit leichtem Summen, Grim konnte die Stärke der Magie fühlen. Sie ließ ihn schaudern.
Sie setzten ihren Weg fort und hatten schon mehrere Gänge durchquert, als Mourier warnend die Pranke hob. Grim witterte und roch zwei Hybriden, die in einiger Entfernung an einer Abzweigung standen. Sie unterhielten sich leise, ihre Stimmen hallten zwischen den fallenden Tropfen der Gewölbedecke wider wie Geistergesang.
Atemlos presste Grim sich mit dem Rücken gegen den Gang, während Mourier sich vortastete. Grim wandte sich zu Kronk und kreuzte zwei Finger der linken Klaue. Das bedeutete: Um den linken Hybriden kümmere ich mich. Kronk nickte. Dann hob Grim die Faust, um die anderen vorstürmen zu lassen, sobald Mourier ihm grünes Licht gab. Ein Schauer zog über seinen Rücken, als er an die Schlachten gegen die aufständischen Dämonen Prags dachte, denen er sich gemeinsam mit Kronk gestellt hatte. Jeder Kampf war anders gewesen, jeder Gegner eine Herausforderung, und wie damals fühlte er auch jetzt das Blut durch seine Adern rauschen wie Flüsse aus Lava.
Mourier stand inzwischen auf der anderen Seite des Ganges, den Blick regungslos auf die Hybriden gerichtet. Er wartete auf den richtigen Moment, und zum ersten Mal, seit er Mourier kannte, entdeckte Grim den Jäger hinter dem alternden Löwengesicht. Für einen Moment fragte er sich, wie Mourier wohl in seiner Jugend gewesen war, ohne hängende Lider und faltige Gesäßbacken, doch im nächsten Moment bekam er das Zeichen und stürzte sich vor. So schnell, dass der Hybrid nicht einmal merkte, wie ihm geschah, raste Grim auf ihn zu, presste seine Klaue zwischen seine Schulterblätter und drückte gleichzeitig gegen seinen Hals. Sofort sackte der Hybrid in sich zusammen, ohne auch nur einen Mucks von sich gegeben zu haben. Kronk war mit seinem Hybriden ebenso verfahren. Grim lächelte befriedigt. Hatte es also doch etwas gebracht, dieses kräftezehrende Lebenspunktseminar im vergangenen Winter, zu dem alle Schattenflügler eine Extraeinladung bekommen hatten. Wochenlang hatten sie in einer zugigen Höhle irgendwo in den Pyrenäen gesessen und sich von einem
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