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Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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fühlte wieder die Panik in ihrer Brust und hörte das Klirren der Kette beim Abreißen des Amuletts. Sie hatte sich vorgestellt, dass ihre Angreifer zurückgeschlagen würden, und im nächsten Moment war es passiert. Gleich darauf hatten sich ihre Muskeln verkrampft, ein heilloser Schrecken war ihr durch die Glieder gerast. Dann war ihr schwarz vor Augen geworden. Aber sie hatte einen Schatten gesehen, kurz bevor sie zusammengebrochen war. Er war über die Köpfe der Hybriden auf sie zugerast. Sie holte tief Atem. Hatte er sie hierher gebracht? Sie fuhr mit der Hand an ihren Hals — die Kette des Amuletts war wieder ganz.
    Ein Windhauch säuselte durch den Spalt unter der Tür. Wie ein riesiges Tier aus Luft strich er ihr übers Gesicht und ließ sie frösteln. So leise wie möglich schlug sie die Decke zurück und stand auf. Sie war noch ein wenig wacklig auf den Beinen, aber davon konnte sie sich jetzt nicht aufhalten lassen. Sie musste wissen, wo sie hier war — und bei wem.
    Sie schlüpfte in ihre Schuhe — irgendjemand hatte sie ihr ausgezogen und fein säuberlich neben das Bett gestellt — und warf sich ihren Mantel um die Schultern, der ordentlich auf einem Sessel gelegen hatte. Erleichtert stellte sie fest, dass sich das Paket noch immer darin befand. Leise schlich sie zur Tür. Die Stille um sie herum war unwirklich, sie hörte keine Straßengeräusche, keine Stimmen, noch nicht einmal den Wind, der in diesem Moment wieder ins Zimmer kroch und nach ihren Haaren griff. Mit angehaltenem Atem zog sie die Tür auf.
    Sie stand am Ende eines langen Korridors. Eine einzelne Fackel warf ihr flackerndes Licht auf hohe Gewölbe, konnte aber die Schatten, die sich in den Nischen des Ganges verbargen, nicht vertreiben. Eine seltsame Kühle schlich über den staubigen Boden, als Mia aus dem Zimmer trat. Ihre Schritte klangen wie ein Flüstern durch die Dunkelheit. Schwere Türen, manche aus Holz, andere aus verziertem Marmor, erstreckten sich zu beiden Seiten, und ganz am Ende, dort, wo das Licht der Fackel endgültig versagte, fiel ein goldener Schein durch einen Torbogen. Mia ging darauf zu. Für einen Moment wurde sie von einem Feuerwerk aus Farben geblendet. Dann kniff sie die Augen zusammen — und erstarrte.
    Vor ihr lag ein Kirchenschiff. Lichter hinter hohen Bleiglasfenstern verwandelten die Mauern in ein filigranes Netzwerk aus Schattenspielen. Dicke Staubschichten bedeckten die Holzbänke und den Mittelgang, die verzierten Spiralsäulen, die die Brüstung trugen, und den kleinen Altar mit der gewölbten, beinahe zarten Kanzel. Hell wie aus Elfenbein leuchtete das Kreuz Mia entgegen.
    Langsam betrat sie die Kirche. Unter ihr knarrten die Dielen, der Ton irrte eine Weile durch die Gewölbe, ehe er sich zwischen den Säulen verlor. Es kam ihr vor, als wäre sie in eine versunkene Welt geraten, ein staubiges Atlantis, in das vor Urzeiten der letzte Mensch einen Fuß gesetzt hatte. Ihr Blick glitt über die mottenzerfressenen Wandteppiche, die reglos wie alte Kleider von den Wänden hingen. Die silbernen Kelche auf dem Altartuch waren angelaufen, geisterhafte Spinnweben hingen an den Fenstern und zwischen den Säulen.
    Nachdenklich strich sie über eine der Bänke. Ihre Finger hinterließen eine Spur im Staub, als wäre er Schnee. Eine Weile betrachtete sie das Farbenspiel auf dem Boden, dann wandte sie sich um. Hinter ihr erhob sich eine Orgel. Sie war pechschwarz, und für einen Augenblick meinte Mia, einen Laut zu hören wie das sanfte Anspielen eines uralten Liedes. Doch ehe sie genauer hinhören konnte, erklang ein Scharren hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum. Aber nichts hatte sich verändert.
    Sie verließ den Hauptgang und öffnete eine schmale Holztür, die nach draußen führte. Blauer Lichtschein fiel auf den Kirchenboden. Mia trat vor und fand sich in einem wunderschönen Garten wieder. Schwarzblaue Bäume und Büsche wurden von Kieswegen umwunden, ein Springbrunnen sprudelte in einer kleinen Grotte, und über allem schimmerten — Sterne? Mia sah genauer hin und erkannte die winzigen Bewegungen der Glühwürmchen an der Höhlendecke, die sich weit über ihr erstreckte. Sie sog die Luft ein. Sie war unter der Erde. Winzige Elfen hockten vor den Kirchenfenstern und schimmerten in den buntesten Farben. Mia fuhr sich über die Augen. Sie durfte sich nicht verzaubern lassen, als wäre sie ein kleines Kind, das in ein Märchenbuch gefallen war. Entschlossen zog sie die Tür wieder zu und setzte ihren

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