Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
Vom Netzwerk:
stand. Das war ein verfluchtes Trugbild.
    Im selben Moment zerriss der Nebel um die Gestalt. Mia kam auf die Beine, sie wollte dieses Wesen nicht anschauen, um nichts in der Welt. Doch da hob die Gestalt den Kopf und sah sie direkt an. Mia atmete nicht. Sie stand nur da, reglos wie ein verwundetes Tier, und starrte auf ihr eigenes Spiegelbild.
    Sie betrachtete ihr dunkles Haar, ihre grünen Augen, ihre bleiche Haut, aber sie sah auch das Andere, das in diesem Gegenüber lag, etwas Kaltes, Tödliches, das ihr den Atem raubte. Übelkeit stieg in ihr auf, als ihr Spiegelbild den Mund zu einem grausamen Lächeln verzog. Gewaltsam zwang sie Luft in ihre Lunge, doch als sie den Mund öffnete und schrie, drang ihr Schrei nicht aus ihrer eigenen Kehle. Stattdessen legte ihr Gegenstück den Kopf in den Nacken, und sein Schrei trug nichts als Leere in sich. Mia schien es, als würde er aus ihr selbst hervorbrechen, aus Abgründen, von denen sie noch nichts ahnte, und das Entsetzen peitschte durch ihre Glieder.
    Endlich fuhr sie herum und rannte los. Sie sprang über zusammengebrochene Menschen, sie musste ihre Mutter erreichen und Josi, sie … Doch ihr Ebenbild folgte ihr, sie hörte es auf alle viere fallen wie ein Tier und merkte, wie es nach ihr schlug und die Nägel tief in ihre Schulter grub. Mia stöhnte auf vor Schmerz, sie schaute zurück und sah sich selbst, ein Schreckgespenst mit zerrissener Haut und glasigen Augen, ein Ungeheuer, das sie zerfetzen wollte. Sie stolperte, doch noch ehe sie fiel, riss sie die Faust in die Luft. Sie war kein Kind mehr, das vor Monstern davonlief!
    Mit einem Schrei, der aus ihrer eigenen Kehle kam und die Nebel um sie herum zerriss, erschuf sie eine gleißende Lanze und stieß sie ihrem Verfolger in den Schlund. Kurz erstarrte ihr Spiegelbild in der Luft und Mia fröstelte, als grelles Licht aus dem entstellten Körper brach. Sie schaute in ihre eigenen Augen und erkannte erschrocken die Verzweiflung darin.
    Dann zerbrach der Leib in raunende Schatten. Wispernd glitten sie über die Straße, doch Mia packte einen von ihnen mit einem Kristallzauber und verschloss ihn in einer glimmenden Kugel. Regungslos schwebte sie in der Luft, während die anderen Schatten auseinanderpreschten. Mia befahl die Kugel in ihre Hand, Nebelfetzen schlangen sich um einen kleinen, insektenhaften Schattenleib. Sollte er sich verbergen – mit Vraternius’ Hilfe würde sie ihn ins Licht zerren, und dann würde sie herausfinden, was es mit diesem verfluchten Nebel auf sich hatte.
    Sie ließ den Zauber in ihre Tasche gleiten und sah sich um. Sie war nicht mehr weit von der Wohnung ihrer Mutter entfernt, doch der Nebel lichtete sich zunehmend – und mit ihm verblassten auch die Konturen der Menschen ringsherum. Ihre Haut wurde grau, ihre Züge verwischten, als wäre jemand mit Löschpapier über sie hingefahren. Sie verschwanden. Sie lösten sich auf wie die weißen Schleier um sie herum.
    Mia zögerte nicht länger. Sie begann erneut zu rennen, und erst, als sie das Treppenhaus ihrer Familie erreichte, verlangsamte sie ihre Schritte. Kaffeegeruch drang ihr in die Nase, er war wie eine Insel des Trostes in haltloser Verlassenheit. Sie eilte die Treppe hinauf, Falifar hockte auf dem obersten Absatz und schaute sie traurig an, doch er flog ihr nicht nach, als sie die Wohnung betrat. Er blieb einfach sitzen, den Kopf auf die Brust gesunken, und atmete nicht.
    Sie fand ihre Mutter und Josi in der Küche. Zusammengesunken saßen sie am Esstisch, Josi vornübergebeugt, ihre Mutter an der Wand lehnend. Sie schliefen, doch auch auf ihren Stirnen flackerten die Flammen, und als Mia ihre Mutter an der Schulter berührte, glitten ihre Finger durch sie hindurch wie durch den Nebel, der sie umgab.
    Mia unterdrückte den Schreck, der sie lähmen wollte, und murmelte einen Zauber. Lautlos legte er sich über ihre Mutter, doch kaum, dass er die Flamme traf, zerplatzte er wie eine Seifenblase, und so erging es ihr mit jedem Zauber, den sie wirkte. Die Flamme zerriss sie alle. Verzweifelt griff sie nach der Hand ihrer Mutter und meinte, den Hauch einer Berührung zu spüren. Ein Raunen drang aus Céciles Mund, leise schon wie ein Ruf über eine unüberwindbare Kluft.
    Mia , flüsterte sie.
    Der Name strich als zarter Windhauch durch den verblassenden Nebel und umhüllte Mia für einen Moment mit sanfter Wärme. Sie schloss die Augen, Tränen liefen über ihre Wangen.
    Ich finde euch , sagte sie in Gedanken, und sie war sich

Weitere Kostenlose Bücher