Grim
Flüchtenden, die sie mit ihrer Magie schützten, und nicht auf die Zauber, die sich in ihren Händen ballten. Auf ihn richteten sich ihre Blicke – und Grim bemerkte das Entsetzen auf ihren Zügen, das kaum mehr war als ein Hauch und diese uralten Krieger doch so verwundbar erscheinen ließ. Er wollte sich aufrappeln, aber die Hitze strich mit solcher Macht über seine Haut, dass er keuchend niedersank. Das Atemholen erschien ihm so ungewohnt, als würde er es seit langer Zeit zum ersten Mal tun, und als er die Augen zusammenkniff, fühlten sich seine Lider an wie brennendes Papier. Verflucht, seit wann war er, ein Kind des Feuers, so anfällig gegen Flammen? Etwas steckte in seiner Lunge, und als er hustete, spuckte er Blut. Tastend griff er sich an die Brust, er fühlte die Wunde, die sein Fleisch zerrissen hatte, und starrte wie betäubt auf seine Klaue. Schwarz war das Blut, das darüber hinlief – doch die Finger waren menschlich und bleich wie aus Wachs gegossen, und sie ragten aus einer dunklen Kutte, der Kutte eines Jägers.
Im selben Moment ging ein entsetzliches Stöhnen durch die Luft. Grim wusste, dass es die Statue war, noch ehe er sie ansah. Flammen stoben aus der Finsternis ihrer Kapuze, und er hörte sich schreien, als sie wie in Zeitlupe schwankte und zu Boden fiel. Krachend zerbrach sie in tausend Scherben, und kaum, dass ihr Leib zerschellte, raste ein unnennbarer Schmerz über ihren Verlust durch Grims Körper. Ungebremst schlug sein Kopf auf dem Boden auf, glühend lagen die Blicke der Jäger auf ihm, und er wusste, dass ihr Bund zerbrochen war. Gelähmt lag er da, ohne zu wissen, ob es das Entsetzen über diese Erkenntnis war oder sein zerschlagener Leib, der ihn am Aufstehen hinderte. Er lag da in diesem fremden Körper und starrte auf die Hand, die nicht die seine war: Es war die Hand des Vampirs, dessen Grab der Schlüssel war zu dieser Illusion.
Kaum hatte er das gedacht, hörte er einen Schrei. Jemand ließ sich neben ihm auf die Knie fallen, schemenhaft erkannte er einen Arm mit schwarzen Zeichen, die sich tief ins Fleisch gebrannt hatten, und er fühlte die uralten Worte, die von einer fremden Stimme getragen über seine eigenen Lippen kamen.
»Lhor’na Proroas«, flüsterte er kaum hörbar. Dem Tanz der Dämmerung.
Kaum hörbar waren diese Worte gewesen, und doch waren sie es, die Grim den Schmerz nahmen, und etwas Sanftes strich durch seine Brust, für das er keinen Namen fand. Ihm wurde schwarz vor Augen, kurz rechnete er damit, in die ewige Finsternis zu stürzen und sich niemals mehr daraus befreien zu können. Doch da spürte er kühlen Sand unter seinen Klauen, und als er die Augen öffnete, fand er sich im unversehrten Innenhof der Akademie wieder. Atemlos kam er auf die Beine, der Illusionszauber zitterte kurz über dem Bild, das sich ihm bot – und stürzte dann in sich zusammen wie ein trügerischer Schleier. Darunter lag die Wahrheit: eine verbrannte, halb zusammengefallene Ruine.
Grim fuhr sich über die Augen. Mia und die anderen sahen sich um, als wären sie in einem verzerrten Wunderland gestrandet. Radvina klopfte Edwin auf den Rücken, der offensichtlich zu viel Rauch eingeatmet hatte, und Jaro ließ den Blick kalt und verschlossen über die schwarzen Mauerreste schweifen. Remis schwirrte über die Scherben der Statue, deren Sockel wie ein düsteres Mahnmal in die Dämmerung ragte. Nur Lyskian saß regungslos neben dem Grab des Jägers, das sich als einziges unbeschädigtes Monument in reinem Weiß vor der verkohlten Kulisse abhob.
»Das also sollte die Illusion verbergen«, sagte Mia leise. Sie betrachtete die Ruine, als müsste sie jede Einzelheit mit ihrem Blick erfassen, um ihrem Verstand zu beweisen, dass die Zerstörung real war.
Grim strich über die Asche einer eingefallen Mauer und sog ihren Duft ein. »Die Akademie wurde vor langer Zeit niedergebrannt. Vermutlich haben Thoron und seine Schergen sie gefunden und sind mit ihr verfahren wie mit allem, was sie fürchteten und hassten.«
Remis klopfte sich den Ruß von den Kleidern, so dass er für einen Moment in eine dunkle Wolke gehüllt wurde. »Aber wer hat den Illusionszauber gewirkt? Und habt ihr nicht auch die Jäger vor dem Feuer gesehen? Einer von ihnen wurde getötet, aber wo sind die anderen geblieben?«
»Und wer hat ihn hier beigesetzt?« Mia betrachtete das Gesicht des Vampirs, als würde sie vor dem Sarg eines Menschen stehen, eines Malers, eines Vaters, der seine Tochter verlassen
Weitere Kostenlose Bücher