Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
Vom Netzwerk:
Murmeln uralter Bäume im Sturm. Und dann, mit leisem Grollen, lief ein Riss durch den Boden zu Füßen der Statue. Schatten brachen daraus hervor, und als die Erde sich öffnete, schob sich ein schneeweißer Sarkophag aus ihrem Inneren, auf dem das steinerne Ebenbild eines jungen Mannes lag. Erst, als Grim näher herantrat und das schmale Gesicht betrachtete, die in Wellen auf einem Kissen ausgebreiteten Haare und die sanft geschwungenen Lippen, erst, als er die beinahe zarten Hände sah, die auf dem Schwert auf seiner Brust ruhten und die Schatten unter den Lidern bemerkte, die wie dunkles Wasser unter einer Eisschicht dahinzogen, erkannte er, dass es keine Statue war, die er betrachtete. Es war ein gefallener Vampir.
    Der Sarkophag hatte sich mit dem Boden verbunden. Rasch breitete sich Moos über den Sockel, dass es bald aussah, als wäre es nie anders gewesen. Remis stieß ein heiseres Röcheln aus, Radvina zog die Schultern an, und auch Mia griff sich an die Kehle. Grim spürte selbst die Kälte, die von dem Toten ausging, es war, als flössen die Schatten aus seinem Inneren auf ihn zu und umdrängten ihn mit eisiger Macht. Lyskian trat auf den Vampir zu. Seine Hand war ruhig, als er sie über der Stirn des Toten in der Luft bewegte, aber Grim sah das Schwarz in den Augen seines Freundes aufflackern. Er wusste, dass Lyskian den Tod wie alle Angehörigen seines Volkes zu gleichen Teilen verachtete und begehrte, und er erinnerte sich daran, was der Vampir ihm einmal in einer besonders kalten Nacht erzählt hatte. Der Tod ist ein Zauberer, hatte Lyskian geflüstert, als würde er sich scheuen, die Worte lauter auszusprechen oder als würde sich etwas in ihm gegen ihre Wahrheit wehren. Nichts anderes. Und er verwandelt nur, was er liebt. Ich trage ihn in mir, ich bin sein Sklave und sein Werkzeug, doch er wird mich niemals liebend in die Arme schließen, mich niemals zur Ruhe betten, mir niemals ein Zuhause geben in Nacht und Dämmerung. Er wird mich zerreißen, weil ich bin wie er – und danach wird alles enden, außer der Dunkelheit in mir. Grim war sich damals nicht sicher gewesen, ob er Lyskians Worte verstanden hatte, und auch jetzt zweifelte er daran, doch als er seinen Freund mit dieser Verwundbarkeit neben dem toten Vampir stehen sah, neben der Hülle, die selbst, wenn sie zu Asche zerfiel, nie vollends verschwinden würde, die sich nie auflöste, sosehr der Geist, der über sie herrschte, dies auch begehrte – da ahnte er, was sie bedeuteten, und dieses flüchtige Gefühl genügte, um ihn frösteln zu lassen.
    Ein Ruck ging durch Lyskians Körper, für einen Moment verkrampften sich seine Finger. Er schaute Grim an, seine Augen waren nicht mehr als zwei schwarze Stücke aus Eis. »Dieses Grab ist wirklich da«, flüsterte er kaum hörbar, »es ist der Kern, den wir suchten. Wir … «
    Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment riss der Tote die Augen auf. Grim sah noch, wie das gleißende Licht seines Blicks Lyskian zurückstieß. Dann wurde er selbst von dem Schein getroffen, der ihm wie eine Faust ins Gesicht schlug. Er stolperte und landete auf den Knien. Das Licht wurde so hell, dass es ihn blendete, er rief nach Mia, doch gleich darauf erlosch der Schein, und Rauch drang ihm in die Nase, schwerer, beißender Rauch. Eine ungeheure Erschöpfung steckte plötzlich in seinen Gliedern, als er sich umsah.
    Der Innenhof war verschwunden. Die Bäume ragten verkohlt zwischen schwelenden Feuern auf, die Säulen waren teilweise eingestürzt und das Glasdach lag in Scherben auf den Trümmern wie Splitter aus Eis. Nur die Statue stand noch an ihrem Platz, der Boden zu ihren Füßen war unversehrt, doch das Feuer leckte über ihre Haut, der Stein knarzte, und Grim hörte das Rauschen der Flammenwände, die geisterhaft über den Boden fegten. Es war magisches Feuer von gewaltiger Macht, Rauchsäulen stiegen aus den Mauern auf, nur schemenhaft erkannte er die Umrisse eines Portals in einer Wand, und davor, umtost von Qualm und Flammen, wichen mehrere Gestalten vor der Glut zurück. Sie trugen dunkle Kutten, Grim wusste, dass es sich um Rhak’ Hontay handelte. Drei Jäger ermöglichten den anderen die Flucht, Grim sah einen hochgewachsenen Vampir mit einer Narbe quer über der Wange, einen weiteren, dessen schlohweißes Haar heller loderte als die Flammen, die ihn umgaben, und eine Vampirin, deren Augen in blauem Feuer standen. Sie schauten nicht in das Feuer, das die Akademie verwüstete, nicht auf die

Weitere Kostenlose Bücher